Mo., 27.02.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Norwegen: Russische Träume auf Spitzbergen
Am Ende der langen Anreise wartet ein alter, ziemlich verbeulter Autobus auf uns. Der öffentliche Personen-Nahverkehr der Gemeinde Barentsburg. Ein Aufkleber preist den siegreichen vaterländischen Krieg gegen Nazi-Deutschland. Minus 20 Grad, eisiger Polarwind – Barentsburg wirkt nicht wirklich einladend. Seit 1932 fördern russische Staatsbetriebe hier Steinkohle. Deshalb gibt es diese russische Kolonie.
Schichtende für Sergey Anenkov. Der 60-Jährige arbeitet seit mehr als 20 Jahren in Barentsburg. Wie viele hier stammt der Russe aus der Ukraine. Sergey ist ein Bergmann vom alten Schlag. Stolz auf das, was er tut, auch heute hat er alles für das Kollektiv unter Tage gegeben. "Es war ein harter Tag", erzählt Sergey Anenkov. "Wir mussten viel erledigen, damit der Schacht wieder in Ordnung kommt, am Ende habe ich mein Soll erfüllt."
Vom Grubenort zum Urlauber-Paradies
Die Kohle-Vorkommen sind so gut wie erschöpft. 150 Kumpel fahren dennoch weiter ins Bergwerk ein. Denn aufgeben wollen die Russen Barentsburg auf keinen Fall. Insgesamt leben nur noch 450 Menschen in der Polarkälte. Aber Barentsburg soll wieder wachsen. Die Siedlung ist inzwischen ein wichtiges Puzzleteil für die strategischen Interessen Russlands. Doch der Außenposten muss sich irgendwie finanzieren. Deshalb soll er für neue Einnahmen sorgen: Tourismusmanager Timofey Rogozhin will den Grubenort zu einem Urlauber-Paradies umgestalten. Der Staatskonzern Arktikugol hat ihn hierher geschickt. Direktor Rogozhin und seine Assistenten haben große Pläne. So soll aus dieser ehemaligen Wäscherei ein Luxus-Restaurant werden. "Als wir mit dem Tourismus vor vier Jahren angefangen haben, haben wir erstmal aufgeräumt", sagt Timofey Rogozhin. "Vorher hatte das Staatsunternehmen nur mit Kohle zu tun, wir mussten bei Null anfangen, wir sind noch lange nicht fertig." Vor allem russische Touristen sollen kommen. Gerne das Monument mit der Parole "Kommunismus ist unser Ziel" bestaunen, das sorgfältig in Schuss gehalten wird. Oder die Büste des Vorsitzenden Lenin, der weiterhin vor der frisch renovierten Plattenbausiedlung wacht.
Oslo beobachtet die Aktivitäten genau
Im fernen Oslo schauen sie ganz genau auf alle russischen Aktivitäten in der Arktis. Kjell Grandhagen war bis vor einem Jahr Chef des norwegischen Militärgeheimdienstes. Russland brauche die Arktis, sagt er: "Die russischen Öl- und Gasvorkommen in West-Sibirien und im Ural gehen zur Neige, die Russen mussten also nach neuen Ressourcen suchen, und sie haben sie in der Arktis gefunden." Aber Russland will nicht nur Bodenschätze rund um Spitzbergen fördern, es geht auch um die strategische Vorherrschaft im hohen Norden, heißt es bei Friedensforschern. "Die Schifffahrtsrouten rund um den Nordpol werden absehbar besser und einfacher zu befahren sein. Russland will diese Wege kontrollieren können", sagt Pavel Baev vom Oslo Peace Research Institute. "Und die russische Politik will dokumentieren, dass Russland die arktische Supermacht ist, dass sie dort stärker sind als alle anderen."
Alles wird von Russland herangeschafft
Russland lässt es sich einiges kosten, Sergey Anenkov und die anderen Einwohner von Barentsburg zu versorgen. "Es gibt hier alles zu kaufen, was man zum Leben und Arbeiten im Norden braucht", sagt Sergey Anenkov. Vor allem Abgepacktes. Frisches Obst und Gemüse sind immer etwas besonderes, die Birnen werden einzeln verkauft. Subventioniert, damit es nicht zu teuer ist. Alles muss aus Russland herangeschafft werden, die Schiffe kommen im Winter häufig mit Verspätung. Wenn sie denn kommen. Solche Probleme können die großen Pläne des Tourismusmanagers nicht stoppen. Ein altes Bergarbeiterheim hat er umbauen lassen, in ein Hostel. Das Design, ganz im traditionell russischen Stil. Für Timofey Rogozhin ist es das Normalste der Welt, dass Russland seine Präsenz auf dem von Norwegen verwalteten Territorium erhalten und sogar ausbauen will. "Niemand behauptet, dass es hier nicht auch um Politik geht", sagt Timofey Rogozhin. "Die meisten der Inseln im arktischen Meer gehören doch zu Russland, da ist es doch nur normal, dass wir auch hier präsent sein wollen."
Per Skype Kontakt zum Rest der Welt
Mit der großen Politik will Sergey Anenkov nichts zu tun haben, er lebt seit mehr als 20 Jahren auf diesen 15 Quadratmetern. Häufig hat er darüber nachgedacht, wieder zurückzugehen. Aber in seiner Heimat, im Donbass, da wird jetzt gekämpft, und nichts ist mehr wie früher. "Schwierige Lage in der Ukraine, es ist Krieg", sagt Sergey Anenkov. "Die Leute finden keine Arbeit und deshalb kommen immer noch Bergleute hierher, wo sie Geld verdienen können." Er lebt alleine. Sein Internet-Zugang verbindet ihn mit dem Rest der Welt. Und mit den Menschen, die ihm am wichtigsten sind, an die er immer denken muss, wie er sagt. Fast täglich skypt Sergey mit seiner Tochter und dem Enkelkind, es sind für ihn die schönsten Momente des Tages. Zwei Jahre will Sergey Anenkov hier noch durchhalten. Irgendwann in Rente gehen. Weg aus der Kälte.
Tourismusmanager Rogozhin dagegen sieht eine rosige Zukunft für Barentsburg. Das frischgezapfte Bier in seiner nagelneuen Brauerei soll noch mehr Gäste anlocken. Die Russen wollen auf Spitzbergen bleiben, dafür sind sie bereit, kräftig zu investieren.
Autor: Clas Oliver Richter, ARD-Studio Stockholm
Stand: 14.07.2019 00:50 Uhr
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