Mo., 27.11.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Ägypten: Bedrohte Lebensader Nil
Ahmed Abdel Hadi rudert, seit er sich erinnern kann. Der Lärm von Kairo ist weit weg, solange er auf dem Nil dahingleitet. Fast 23 Millionen Menschen leben im Großraum Kairo. Ägyptens Hauptstadt wächst immer weiter – Ägyptens Bevölkerung auch. Gut zwei Millionen Menschen mehr jedes Jahr. "Der Nil ist das Zentrum meines Lebens. Wahrscheinlich ist er das für alle Ägypter. Ohne den Nil wäre Ägypten nur eine Wüste. Und auch mein Leben wäre ohne den Nil wüst und leer", sagt Ahmed Abdel Hadi.
Süßwasser ist zu 95 Prozent Nilwasser
Ägypten besteht überwiegend aus trockener Ödnis. Aus Sand und Steinen. Süßwasser in Ägypten ist zu 95 Prozent Nilwasser. Felder werden künstlich mit Nilwasser bewässert. Ahmed, der Ruderer, ist Landwirtschaftsberater. Ihm klagen die Bauern ihre Sorgen. "Sollte eines Tages weniger Wasser kommen, dann wird Ägypten zu einer einzigen Wüste", sagt Bauer Mohammed Hossein. "Die ganze Zivilisation hier konzentriert sich seit jeher auf das Niltal. Wenn der Nil weniger wird – das wäre eine Katastrophe."
Felder müssen künstlich bewässert werden
Aber genau das wird durch den Staudamm-Bau in Äthiopien passieren, fürchten viele. Ägypten fehlt Nilwasser für die Felder. "Sobald man aufhört, hier künstlich zu bewässern, wird salziges Grundwasser nach oben gedrückt, das den Boden für lange Zeit schädigt", sagt Ahmed Abdel Hadi. "Solange man hier Landwirtschaft betreibt und bewässert, gibt es kein Problem. Aber wenn man die Bewässerung auch nur eine Zeit lang unterbricht, dann hat man ein Problem, auf Dauer."
Alte Technik und alte Methoden
Wir fahren ins Nildelta. Nilwasser in großen Kanälen. Scheinbar im Überfluss. Die Gegend ist fruchtbar, das Bewusstsein, dass natürliche Ressourcen kostbar sind, ist noch nicht sehr entwickelt. Müll schaukelt auf den Wellen. Obwohl Ägypten heute schon unter Wassermangel leidet, wird oft noch immer bewässert wie vor Urzeiten: Die Bauern setzen ihre Felder einfach großflächig unter Wasser. Hassan El Sayed wirft seine Wasserpumpe an. Experten sagen, mit der alten Technik und den alten Bewässerungsmethoden wird viel zu viel Wasser verschwendet. Bauern wie Hassan sollen lernen, Wasser zu sparen. Heute schon ist es im Sommer knapp. Hassan glaubt, da mache sich der äthiopische Staudamm schon bemerkbar. "Dieser Damm hat schon vieles hier verändert. Früher war der Kanal hier immer voll, da brauchte ich gar keine Pumpe. Das Wasser ist ganz klar weniger geworden."
Kleine Veränderungen haben große Folgen
Kirsten Nyman von der deutschen Entwicklungshilfe-Organisation GIZ unterstützt eine Bauernschule im Nildelta. Die Bauern müssen nicht nur Wasser sparen, sie müssen mit weniger Wasser sogar mehr produzieren. Ägyptens Bevölkerung wächst so schnell, zwei Millionen Menschen mehr jedes Jahr müssen ernährt werden. Da haben selbst kleine Veränderungen große Folgen. "Jeder Rückgang wird sich bemerkbar machen, sei es durch den Damm bedingt oder durch das Bevölkerungswachstum oder auch durch den Klimawandel", sagt Kirsten Nyman. "Auch das wird Effekte auf das Land haben, auf die sich die Bauern einstellen müssen, um mit der Situation in Zukunft umgehen zu können."
"Weniger Wasser führt direkt in die Katastrophe"
Wenn die Äthiopier ihren neuen Stausee füllen, wird hier in Ägypten Wasser fehlen. Noch ist unklar, wie viel und für wie lange, sagt der Landwirtschaftsberater Ahmed Abdel Hadi. Aber sicher ist: Mehr Wasser wird es mit Sicherheit nicht. Schon heute importiert Ägypten etwa 60 Prozent der notwendigen Lebensmittel für teure Devisen aus dem Ausland. Noch mehr Importe kann sich das Land nicht leisten. "Wir brauchen immer mehr, von allem. Mehr Wohnungen, mehr Nahrung, mehr Wasser. Weniger Wasser führt direkt in die Katastrophe", sagt Ahmed Abdel Hadi.
Wenn Ahmed auf dem Nil dahingleitet, schweigt der Lärm der Großstadt Kairo. Sobald er anlegt, ist die Sorge wieder da: Dass der Nil, der scheinbar unerschöpfliche Lebensspender Ägyptens, bald nicht mehr für alle reicht.
Autor: Volker Schwenck, ARD-Studio Kairo
Stand: 31.07.2019 13:52 Uhr
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