Mo., 27.11.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Äthiopien: Riesenstaudamm an der Kraftquelle Nil
Mit letzter Kraft schleppt sie sich den Weg entlang. Für viele ist die heilige Quelle des Nils die letzte Hoffnung auf Heilung. Aus dem ganzen Land strömen Pilger nach Gish Abay – eine Art äthiopisches Lourdes. Wasser aus dem Nil, Schläge mit dem orthodoxen Kreuz und Gebete sollen helfen. Bis die Prozedur Wunder wirkt, können allerdings Jahre vergehen. Die Pilger sind in ihre Rituale versunken. Sprechen möchte darüber niemand.
Heilige Quelle
Hinter einer unscheinbaren Schnur liegt einer der heiligsten Orte Äthiopiens. Nur wer fastet, männlich, orthodox christlich und barfuß ist, darf hier durch. Anderen gegenüber wird die heilige Quelle des Blauen Nils, des Abay, wie er hier heißt, streng abgeschirmt. Etwa hundert Kilometer weiter fließt das heilige Wasser in den Tanasee, den bislang größten See Äthiopiens. Auf einem Inselchen mitten im See liegt die Kirche Debre Mariam, eines von vielen orthodoxen Klöstern in dieser Gegend. Auch hier glauben Pilger an die Kraft des Wassers. Priester Eshete Medhem ist am Abay geboren und aufgewachsen. "Abay bedeutet Leben für mich", sagt er. "Nicht nur, weil das Wasser heilig ist, auch, weil die Kirche auf dieser Insel mir Arbeit gibt. Die Kirche und der Fluss sind eng miteinander verknüpft. Menschen kommen her, um geheilt zu werden. In früheren Zeiten hat das Wasser des Nils einige Menschen sogar vom Tode auferstehen lassen."
"Großer Damm der äthiopischen Wiedergeburt"
So mächtig ist der Fluss, dass er die Menschen an Wunder glauben lässt. Die Tissisat-Wasserfälle sind die zweitgrößten Afrikas. Das allein ist auch schon fast ein Wunder – in Äthiopien, berüchtigt für Hunger und Dürre. Im armen Hochland scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Von hier fließt der Nil weiter nach Westen und soll von dort aus bald das ganze Land mit Strom versorgen. Auf der wohl größten Baustelle Afrikas entstehen ein Staudamm und ein Kraftwerk. Rund um die Uhr schuften knapp 10.000 Bauarbeiter. Eigentlich sollte der "Große Damm der äthiopischen Wiedergeburt" dieses Jahr fertig werden, doch man hinkt im Zeitplan hinterher. Mit der Kraft des Nils will Äthiopien sich endlich unabhängig von Entwicklungshilfe machen. "Afrikaner können einen Unterschied machen, Afrika ist ein so reicher Kontinent. Wir haben alles Potenzial, um uns zu entwickeln", sagt Tenalem Ayenew, Professor für Hydrologie und Wasserkraft-Experte. "Wir müssen uns nur auf uns selbst besinnen. Wenn wir das tun, können wir unseren Kontinent ändern. Der Staudamm wird dem Kontinent die Augen öffnen."
Strom für ganz Äthiopien und für den Export
Ein See dreimal so groß wie der Bodensee soll hinter der Staumauer entstehen – und das Kraftwerk am Ende mehr als 6.000 Megawatt Strom erzeugen. Das reicht, um ganz Äthiopien mit Strom zu versorgen und mit dem Export auch noch Geld zu verdienen. Für Projektmanager Simegnew Bekele ist der Damm daher so etwas wie Balsam auf der Seele einer Nation, die in seinen Augen bisher von der Welt verkannt wurde. "Wir wissen, dass wir ein armes Land sind, aber wir brauchen keinen, der uns das immer wieder sagt", sagt er. "Wir wissen das selbst und sind wild entschlossen, aus dieser Armut herauszukommen."
Ein extrem teures Projekt
Ein extrem teures Projekt, um Armut zu bekämpfen, zumal es dafür kein Geld aus dem Ausland gab. Den Fünf-Milliarden-Dollar-Mammut-Damm hat die äthiopische Regierung selbst finanziert. Da der Staatshaushalt nicht reichte, wurden Gehälter von Staatsbediensteten einbehalten, natürlich "freiwillig". Spenden aus der Bevölkerung und Lotterien füllten die Kassen ebenfalls. "Das Projekt wird auch anderen zugutekommen, ebenso wie uns in Äthiopien. Der Nil ist ein historischer Fluss. Wir haben eine enge Beziehung zu den Anrainer-Ländern. Es sind unsere Brüder und Schwestern. Deshalb werden wir dieses Projekt verantwortungsvoll und professionell umsetzen", sagt Projektmanager Bekele.
Modernes Weltwunder
Flussabwärts, im Sudan und Ägypten, sind die Sorgen allerdings groß, dass sie den Nil hier bald aufstauen. Für Äthiopien ist der Damm aber nicht nur Zeichen der Wiedergeburt, sondern nichts weniger als ein modernes Weltwunder.
Autorin: Sabine Bohland, ARD-Studio Nairobi
Stand: 31.07.2019 13:52 Uhr
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