SENDETERMIN So., 06.02.22 | 18:30 Uhr | Das Erste

Ägypten: Auftrittsverbote für Rapper

Ägypten: Auftrittsverbote für Rapper | Bild: WDR

Mit Produzent Mustafa feilt Künstler Abou Leyla am neusten Hit. Seit neun Jahren treffen sich die beiden immer nachts im Studio. Abou Leyla bedeutet auf Arabisch 'Vater der Nacht'. Sie produzieren Mahraganat, der ägyptische Mix aus Funk, Elektro und Rap. Mahraganat ist ihr Leben. "Ich kann mit der Musik all meinen Sorgen entfliehen. In unseren Liedern singen wir über unsere Erfahrungen auf der Straße. Natürlich versuchen wir auch eine Message rüberzubringen", erzählt Abou Leyla.

Doch weil er in seinen Texten auch über Drogen und Frauen singt, kann Abou Leyla seit Monaten nur in diesem Raum Musik machen. Konzerte zu spielen hat ihm das mächtige Musiksyndikat, bei dem jeder ägyptische Künstler Mitglied sein muss, verboten. "Ich fühle mich paralysiert. Die Sperre macht mich fertig. Sie hätten mit mir sprechen sollen und erklären, was ich falsch gemacht habe und wie es richtig machen soll", sagt der Mahraganat-Künstler.

Einschränkung der Kunstfreiheit für die Rapper

In der Musikwelt Ägyptens prallen Welten aufeinander. Auf der einen Seite das staatstreue Musiksyndikat, das die Kontrolle hat, wer auftreten darf und wer nicht. Auf der anderen Seite junge Künstler, die meist aus den ärmeren Vierteln der Großstädte Alexandria und Kairo kommen. Dort ist Mahraganat als Stimme der Straße vor etwa 15 Jahren entstanden und völlig durch die Decke gegangen. Aus fast jeder Musikanlage, aus den Tuks-Tuks auf den Straßen – Mahraganat dröhnt aus allen Ecken. Auftritte lassen sich verbieten, die Musik aber nicht. Mit dem Sound aufgewachsen ist auch sie: Sara Ramadan. Die Aktivistin macht sich auf nach Boule El Dakrour, in einen Stadtteil von Kairo, indem viel Einfallsreichtum gefragt ist, um sich über Wasser zu halten.

Ägypten: Mahraganat ist die Stimme der Straße, er dröhnt aus allen Musikanlagen
Ägypten: Mahraganat ist die Stimme der Straße, er dröhnt aus allen Musikanlagen | Bild: WDR

Die 30-Jährige gibt Mahraganat-Künstlern juristische Ratschläge, um gegen ihre Auftrittsverbote vorzugehen. Sie ist sich sicher: der Staat fürchtet die Künstler und ihre Musik: "Dem Syndikat und dem Staat ist das Image des Landes ja sehr wichtig. Man verleugnet, dass es diese ärmeren Gegenden gibt, dass hier extreme Armut herrscht und dass Menschen, die oft keine Bildung haben, offen in Liedern aussprechen, was sie ihrer Lebensrealität erleben." Abou Leyla zeigt sich in Alexandria in einem schickeren Café. Eigentlich wollte er entspannt eine Shisha rauchen, doch er hat keine ruhige Minute. Mahraganat ist längst auch in der Mittel- und Oberschicht Ägyptens angekommen. "Wir haben uns hier mit niemandem verabredet. Aber Mahraganat läuft einfach bei jedem Event. Ob Geburtstagsparty, Baby Shower oder Hochzeit. Alles wird mit Mahraganat gefeiert", sagt der Künstler.

Syndikat verurteilt den Inhalt der Lieder

Die Aufmerksamkeit im Café ist für den gesperrten Künstler nur ein kleiner Trost. Er vermisst die Live-Auftritte von früher. Seine Haupteinnahmequellen waren bis vor einem Jahr Hochzeiten und Konzerte. Ob er seine Karriere fortsetzen kann, entscheidet sich wohl am Ende dieses Ganges – im Büro des ägyptischen Musiksyndikats. Man sieht sich hier als Beschützer von Moral und Werten. Mahraganat für sie: Böse Buben mit bösen Wörtern. "Was sie singen, ist eine Gefahr für die Gesellschaft. Es werden Begriffe benutzt, die sich nicht gehören. Eine ganze Generation hört das und gewöhnt sich daran. Natürlich ist das gefährlich", erklärt Alaa Amer vom Ägyptischen Musiksyndikat.

Ägypten: Ob ein Künstler arbeiten darf, entscheidet das Ägyptische Musik-Syndikat
Ägypten: Ob ein Künstler arbeiten darf, entscheidet das Ägyptische Musik-Syndikat | Bild: WDR

Das Syndikat pflegt enge Beziehungen zum mächtigen Militär. Die Künstlerfreiheit sei stark eingeschränkt, kritisiert Aktivistin Ramadan: "Das Syndikat ist nicht unabhängig, auch wenn sie es aus juristischer Sicht eigentlich sein sollte. Eigentlich sollte es ja die Bedürfnisse der Mitglieder verteidigen, aber in Wahrheit sieht man, dass das Syndikat die Sicht der Regierung wiedergibt."

Die ersten Schlangen vor den Konzerthallen bilden sich nun wieder. Einige Mahraganat-Sänger dürfen wieder auftreten. Sie haben ihre Texte geändert und im Sinne des Syndikats angepasst. Abou Leyla, der 'Vater der Nacht' will seine Texte nicht ändern. Er hofft auf die Milde des Syndikats. Hunger auf Erfolg hat er noch immer und er ist sich sicher: der Sound seiner Generation wird in Ägypten nicht verstummen.

Autor: Ramin Sina/ARD Studio Kairo

Stand: 06.02.2022 18:39 Uhr

1 Bewertungen
Kommentare
Bewerten

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Bitte beachten: Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern werden innerhalb von 24 Stunden durch die Redaktion freigeschaltet. Es dürfen keine externen Links, Adressen oder Telefonnummern veröffentlicht werden. Bitte vermeiden Sie aus Datenschutzgründen, Ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Fragen zu den Inhalten der Sendung, zur Mediathek oder Wiederholungsterminen richten Sie bitte direkt über das Kontaktformular an die ARD-Zuschauerredaktion: https://hilfe.ard.de/kontakt/. Vielen Dank!

*
*

* Pflichtfeld (bitte geben Sie aus Datenschutzgründen hier nicht Ihre Mailadresse oder Ähnliches ein)

Kommentar abschicken

Ihr Kommentar konnte aus technischen Gründen leider nicht entgegengenommen werden

Kommentar erfolgreich abgegeben. Dieser wird so bald wie möglich geprüft und danach veröffentlicht. Es gelten die Nutzungsbedingungen von DasErste.de.

Sendetermin

So., 06.02.22 | 18:30 Uhr
Das Erste

Produktion

Westdeutscher Rundfunk
für
DasErste