So., 06.02.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Großbritannien: Energie teuer wie nie
Hier bleibe ich immer eine Weile stehen, wenn ich Teewasser koche. Das ist schön. Ein bisschen Wärme. Bei Diane Skidmore in der Wohnung ist es ziemlich kalt. Umgerechnet 50 Euro hat sie im Monat von ihrer Rente als Budget für Strom und Gas. Das schöpft sie voll aus. Jetzt explodieren seit Wochen die Energiepreise. Und sie musste eine Entscheidung treffen: "Die Heizkosten sind bei mir um 50 Prozent gestiegen. Das kann ich nicht bezahlen. Ich stelle jetzt die Heizung für eine halbe Stunde am Tag an. Das muss reichen. Und den Rest des Tages ziehe ich einen Pullover an oder werfe eine Strickjacke über."
Klagen wolle sie nicht, sie sei stark genug, das durchzuhalten. Auch wenn es ungemütlich sei und sie deshalb kaum noch jemand besuchen komme. 30 Minuten heizen, immerhin für den Moment bringt es etwas Wärme. "Ich habe hier ein Raum-Thermometer. Jetzt sind es 16 Grad, das ist gut. Draußen sind gerade 10 Grad, warm zum Glück. Später wird es hier drinnen auf 12 Grad runtergehen, vielleicht auch noch weniger", erzählt die Rentnerin.
Schuld ist schlechtes Energiemanagement
Im Vereinigte Königreich ist es nicht so einfach, wenn man es warm haben will. Der Gaspreis ist hoch. Und auf der Insel heizt fast jeder mit Gas. Es wird noch ungemütlicher, für etwa 22 Millionen Haushalte. Ab April, so die Ankündigung, gehen die Energiekosten noch weiter in die Höhe. Großbritannien hat verschlafen, für Krisenzeiten besser gewappnet zu sein. Wie hier vor der Küste Schottlands liegen eigene Gas und Ölreserven. Mehr als die Hälfte aber muss aus dem Ausland eingekauft werden. Und das oft kurzfristig. Ross Dornan vertritt die Energie-Branche und räumt ein, dass das die Preise hochtreibt: "Viele Unternehmen haben ihr Gas weit im Voraus bestellt, das ist billiger. Aber nicht genügend. Nun müssen sie einiges zum teureren Tagespreis kaufen. Wir buhlen mit vielen Ländern um zum Beispiel flüssiges Erdgas. Der Meistbietende gewinnt oft. Die Gas-Versorger müssen mehr bezahlen und damit auch die Verbraucher."
Regelmäßig kommen Schiffe mit Flüssiggas beladen – wie hier nach England. Je nach Bedarf. Denn es fehlt auch an Speichern, um auf Vorrat zu kaufen. "In den vergangenen Jahren haben wir es in Großbritannien versäumt, in Speicher zu investieren. Wenn wir die jetzt in Zeiten hoher Nachfrage hätten, ja dann könnten wir die Preisdynamik sicher besser abfedern", sagt Ross Dornan von Oil & Gas U.K.. Und dann wird ja auch noch unnötig viel geheizt. Großbritannien hat einige der ältesten und durchlässigsten Häuser in Westeuropa. Wärme entweicht durch Wände, Fenster, Türen. Auch bei David Raedeker. Der Deutschbrite hat so ein typisches britisches Haus gerade für sich und die Familie gekauft. Es zieht wie Hechtsuppe: "Wir wohnen eigentlich nur oben. Da ist es wärmer, weil die Wärme hochsteigt. In der Küche wird es nicht warm, da haben wir Jacken an oder stellen uns neben eine Heizung."
Konsument:innen sind auf sich gestellt
Energie kostet David 3000 Euro im Jahr. Er will deshalb sanieren. Mit dem Rat von Architekten. "Man kann es mit der Hand fühlen. Da zieht es durch. Ja. Ich würde sagen mit den Fenstern heizen Sie ungefähr ein Drittel Ihrer Wärme nach draußen", erklärt Architekt, Bob Prewett. Es wird allerdings teuer, alle Fenster müssen raus. Das Haus braucht Dämmung. Und Förderprogramme gibt es nicht für Eigentümer:innen in Großbritannien. Die Regierung zeigt schon seit Jahren wenig Interesse. Auch deshalb geht wie hier teure Energie vielerorts flöten. Bob Prewett erklärt: "Einige Leute, die etwas wohlhabender sind, können es sich leisten zu sanieren. Die meisten anderen aber hätten zwar gerne ein gut isoliertes Haus können es aber finanziell nicht stemmen."
Anders als die meisten wird David das Projekt trotzdem angehen: "Ich kann es mir zum Glück leisten. Wir wollen eh noch renovieren und es wäre ökonomisch dumm, es nicht mitzumachen." Die hohen Energie-Rechnungen machen nahezu allen Brit:innen zu schaffen. Die Regierung sah sich unter der Woche gezwungen zu reagieren. Eine Steuer wird leicht gesenkt – vor allem aber finanziert sie Rabattgutscheine für Energierechnungen. Das Geld muss aber zurückgezahlt werden. "Ohne unser Handeln würde es schwer werden für Millionen Familien. Wir helfen, damit sie mit den Kosten klarkommen können", sagt der Britische Finanzminister, Rishi Sunak. Einen Rabatt, den sie später zurückzahlen muss: Diane hilft das nicht. Das Geld hat sie weder heute noch in ein paar Monaten oder Jahren: "Das ist alles nicht richtig, wir sollten nicht frieren. Wir sind doch ein modernes Land, ein reiches Land. Ich verstehe nicht, warum sie sich nicht vernünftig kümmern." Es wird notgedrungen kalt bleiben in ihrer Wohnung.
Autor: Sven Lohmann/ARD Studio London
Stand: 06.02.2022 19:47 Uhr
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