Mo., 05.02.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Schweiz/Afghanistan: Der Traum von Olympia
Sajjad Hussaini und Alishah Farhang haben einen großen Traum: Sie wollen als erste Afghanen überhaupt an olympischen Winterspielen teilnehmen. Die auf den ersten Blick verrückte Initiative eines Schweizer Journalisten hat sie ihrem Traum nähergebracht: Dank Crowdfunding können sie seit vier Jahren im feinen St. Moritz trainieren.
Doch für Olympia sind die beiden Skifahrer noch nicht schnell genug. Dann kommt noch ein Problem dazu: ihr Visum für die Schweiz läuft ab. Nach drei Monaten müssen die beiden zurück nach Afghanistan. Ein Land, erschüttert von tödlichen Anschlägen und terrorisiert von radikalen Milizen. Wie ist es möglich, hier von Olympia zu träumen? Eine Reportage von Wolfgang Wanner und Peter Gerhardt, (ARD-Studios Genf und Delhi).
Gar nicht so einfach - der Hüftschwung im Trockentraining. Zum vierten Mal sind die afghanischen Skifahrer Alishah und Sajjad in St. Moritz um Riesenslalom zu trainieren. Ihr Traum: die Olympischen Winterspiele in Südkorea. "Afghanistan war noch nie dabei", sagt Sajjad Hussaini. "Jetzt wollen wir unser Land vertreten. Hoffentlich schaffen wir das." Der Trainer noch nicht ganz zufrieden. Die beiden Afghanen haben den Sport zu spät entdeckt, um wirklich vorne mitzufahren. Trotzdem wollen sie die Olympia-Qualifikation schaffen – schwierig. "Sie haben nicht die gleichen Voraussetzungen wie andere Skirennläufer", erklärt Trainer Andreas Hänni. "Und deshalb bringen sie da schon einen kleinen Rucksack mit." An diesem Vormittag Anfang Januar feilen sie an ihrer Technik. Morgen steht ein wichtiges Rennen an. Es geht um Punkte für Olympia. Noch sind sie nicht qualifiziert. "Wenn wir gut trainieren, so wie es unser Trainier sagt, ist das schon ein gutes Gefühl", sagt Sajjad Hussaini. "Aber manchmal können wir das nicht umsetzen, was er will. Es ist ein bißchen schwierig."
Klappt die Qualifikation?
Dafür sind Sajjad und Alishah umso motivierter. Zu Hause in Afghanistan ist das Trainieren schwierig: Dort gibt es zwar viel Schnee aber weder Pisten noch Lifte. Einen Hauch Heimat bringt die Skibar Bamyan. Die Einnahmen kommen bereits den vierten Winter Alishah und Sajjad zu Gute. Hier hängen auch deren bislang größten Erfolge: Erste Plätze bei einem afghanischen Skirennen. Ein Schweizer Journalist hatte die beiden dann hierher gebracht. Mit Hilfe der Gemeinde Sankt Moritz. "Alishah und ich, wir haben immer die afghanischen Skirennen gewonnen – wir waren die Besten."
Das Training im Schweizer Luxus-Skiort – für die beiden Afghanen die Chance Ihres Lebens. Sie haben Pläne – auch falls es mit Olympia nicht klappen sollte: Sie wollen eine Skistation in ihrer Heimat aufbauen. "Wir würden gerne einen kleinen Skilift in Afghanistan bauen, um auch anderen Leuten die Gelegenheit zu geben, Skifahren zu lernen”, sagt Alishah Farhang.
Am nächsten Morgen: das Qualifikationsrennen. Schlechtes Wetter… Warten… Dann die schlechte Nachricht: das Rennen wird abgesagt. "Das war eines unserer Ziele hier gute Punkte zu sammeln… Aber das passiert halt", meint Alishah Farhang. Enttäuschung im gesamten Team. Die Chancen für Olympia – gesunken. "Da kann man nichts machen. Aber für uns ist es jetzt richtig schwierig, denn wir haben nicht mehr die Möglichkeit noch an vielen Rennen teilzunehmen." Das Tragische: Am Ende kommt sogar die Sonne wieder raus, das Rennen bleibt abgesagt. Damit sie sich jetzt doch noch qualifizieren, müsste schon fast ein Wunder geschehen.
Zurück in Afghanistan
Ende Januar: Anflug auf Kabul. Die beiden haben die Qualifikation nicht geschafft und fliegen nach Hause, in ein Land das in den Monaten, die sie in Europa verbracht haben, noch gefährlicher geworden ist. Nur eine Woche vor ihrer Rückkehr stürmten die Taliban ein großes Hotel in Kabul und ermordeten unter anderen 11 Crewmitglieder der größten afghanischen Airline. Alishah und Sajjad müssen deshalb mit dem Auto weiterfahren, alle Inlandsflüge wurden gestrichen. Doch ein Viertel der knapp 200 Kilometer langen Strecke führt durch Taliban Gebiet. "Man weiß in diesen Tagen nie, was passieren wird", sagt Alishah Farhang. "Explosionen, Selbstmordanschläge. Alle Afghanen haben Angst, wenn sie rund um Kabul unterwegs sind. Und die Straße nach Bamiyan ist besonders gefährlich."
Doch zum Glück geht alles glatt. Am nächsten Tag in Bamiyan. Hier standen einmal die berühmten Buddha-Statuen, die die Taliban 2001 gesprengt haben. Alishah und Sajjad fühlen sich relativ sicher hier, es gab lange keine Anschläge mehr. Die beiden machen sich auf den Weg zum Skiclub. Die Ausrüstung, die hier auf Skifahrer wartet, ist westlicher Standard, doch in diesem Jahr noch unbenutzt. Und das liegt nicht nur daran, dass es diesen Winter kaum Schnee gab. Afghanistan hat derzeit andere Probleme. "Unsere Pläne, mehr Touristen nach Bamiyan zu bekommen, können wir vergessen. Welcher Ausländer kommt denn bei der Sicherheitslage hierher. Es ist ja selbst für uns Afghanen nicht sicher im eigenen Land zu reisen."
In der Heimat gibt es wichtigere Themen
Auch wenn Alishah und Sajjad es nicht zu den olympischen Spielen geschafft haben: die Freunde im Skiclub sind stolz auf die beiden. In Europa waren sie nur zwei Rennläufer von vielen. Hier sind sie Stars. "Afghanistan ist unsere Heimat", meint Sajjad Hussaini. "Ich gehöre hierher. Das hier ist meine Welt. Wir müssen unser Bestes tun, damit es unserem Land wieder gutgeht, damit es aus der Krise kommt."
Doch dann erhält Sajjad eine schreckliche Nachricht: Am Vortag haben sich Terroristen des IS vor dem Innenministerium in Kabul in die Luft gesprengt. Es gab mehr als 100 Tote. Einer davon Sajjads Cousin. Er war Polizist. Sajjad fährt ins Dorf seiner Eltern. Die Familie bittet darum, nicht im Fernsehen gezeigt zu werden. Sie haben Angst vor den IS-Terroristen. Auch für Sajjad sind die verpassten olympischen Spiele nicht mehr das wichtigste Thema. "Ich habe in letzter Zeit mehrere Verwandte bei Anschlägen verloren. Natürlich kann man das nicht einfach ausblenden, wenn man hier lebt. Auch wenn ich manchmal einfach weglaufen möchte. Aber letztlich müssen wir alle damit leben." Auf dem Weg zurück nach Bamiyan fängt es an zu schneien. Im März wollen Sajjad und Alishah hier wieder Skirennen organisieren. Aus Spaß. Der Traum von einem Leben als Rennläufer ist erst einmal ausgeträumt.
Stand: 01.08.2019 02:30 Uhr
Kommentare