Mo., 05.02.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
China: Wiege des Langlaufs
Wo China endet, zwischen Kasachstan, Russland und der Mongolei, liegt der Altai, eine eisige Schneelandschaft mit multiethnischer Bevölkerung. Hier sind die Tuwiner heimisch, berühmt für ihre rustikalen Tourenski: ein Belag aus Pferdefell bremst bergauf und saust bergab.
Einmal im Jahr treffen sich Mannschaften aus fünf Dörfern und messen sich beim traditionellen Rennen in Altai-City, einer Stadt mit sozialistischem Charme, die versucht, den Skizirkus Europas zu kopieren. Zu laut für die Tuwiner. Sie bleiben lieber in ihren verschneiten Dörfern – überwacht von lauten Grenzpatrouillen, aber tiefverwurzelt in ihrer Skitradition. Eine Reportage von Sascha Storfner (ARD-Studio Peking).
Unterwegs in den Altai im äußersten Zipfel Chinas, weit im Nordwesten. 2.400 Kilometer von Peking entfernt. Ayiken Jiashan ist Kasache und im Altai aufgewachsen. Inzwischen wohnt er in der Provinzhauptstadt, doch immer wieder zieht es ihn zurück in die Heimat, durch die Wüste in die Berge, in den Schnee. Es geht ins Dorf Khom. Begrüßung durch Staatschef Xi Jinping. Partei-Propaganda, auch im letzten Winkel der Volksrepublik. Wiedersehen mit seinem guten Freund Tursen vom Volk der Tuwiner. Es gibt Milchtee und Gebäck – und viel zu erzählen. Tursen und seine Frau haben drei Kinder, auch die Schwiegermutter wohnt mit im Haus. "Ich bin so froh, hier zu sein", freut sich Ayiken Jiashan. "Wir kennen uns seit Jahrzehnten, er ist wie ein kleiner Bruder für mich. Ich bin sein großer Bruder. "
Dschinghis Kahn ist der große Volksheld
Der Kasache und der Tuwiner. Die verschiedenen Volksgruppen halten hier eng zusammen, eigentlich genau so wie Staatspräsident Xi Jinping es gerne predigt. Natürlich hängt sein Bild an der Wand. Kritisches über den Präsidenten wird man selbst hier, so fern von Peking nicht hören. Aber heimlich haben die 2.000 Tuwiner, die in dieser Region leben, ihren eigenen Helden, den großen Mongolen Dschinghis Kahn. "Dschinghis Kahn ist unser großer Führer", erklärt Tursen, "er hat viele Kriege gewonnen. Er hat die Tuwiner respektiert."
Am Nachmittag sind Tursen und Ayiken unterwegs zum Skispezialisten. Nur eine Schneepiste führt zu ihm. Eine knappe Stunde dauert die Fahrt. In wenigen Tagen ist ein großes Skirennen, das Ayiken mit organisiert hat. Tursen und Ayiken können sich ein Leben ohne Ski gar nicht vorstellen. Die Tuwiner sind für ihre traditionellen Holzskier bekannt. Internationale Wissenschaftler sind sogar der Meinung, dass das Skifahren hier im Altai erfunden wurde.
Skier mit Pferdefell
Jengisbek kommt aus einer Skibauerdynastie, er hat von seinem 80jährigen Vater gelernt, prüft die Skier mit Kennerblick. Sie sind aus Fichten-, Birken- oder Pappelholz. Pferdefell ist der ideale Belag für diesen archaischen Tourenski. Bremst beim Hochgehen und gleitet beim Runterfahren. "Unsere Skier werden so gemacht: ich schneide das Holz zu, biege es zurecht, lasse es 10 Tage trocknen, das Pferdefell lege ich in Salzwasser ein, so dass es weich wird und ziehe es dann auf."
Skier sind im Altai Gebrauchsgegenstände, fürs Jagen und zur Fortbewegung in der unendlichen Weite. Eine unberührte Idylle – wären da nicht die allgegenwärtigen Grenz-Patrouillen. Die Menschen hier hören deren Sirenen schon gar nicht mehr. Sie setzen ihnen ihre musikalische Tradition entgegen: Die Boygroup Mandalash ist spezialisiert auf den traditionellen Kehlkopfgesang der Tuwiner. "Man presst die Luft vom Bauch aus hoch. So", demonstriert Mungki jirgil.
Letzte Vorbereitungen für das große Rennen. Die Ski-Mannschaft des Dorfs trifft sich nach der Arbeit zum Training: Die Skier haben sie feingetuned, die Kalbslederbindung sitzt perfekt, die Kälte von um die 20 Grad minus macht ihnen nichts aus. Altai City, ein Ort mit stalinistischem Charme: das erste Skiresort am Platz, Tursen und Ayiken treffen hier Skifahrer aus aller Welt, Publikum fürs große Rennen. Mannschaften aus fünf Dörfern treten gegeneinander an. Sie ziehen ein Gewicht mit Fellbezug hinter sich her, dass die Beute beim Jagen darstellt. Es ist ein Fest, bei dem sich alle wiedersehen, aber trotzdem wirken die Dorfbewohner im modernen Skizirkus ein bisschen fehl am Platz. Zuhause fühlen sich die Tuwiner in ihren verschneiten Dörfern – und auf Skiern natürlich. Skifahren sei hier fast wie eine Religion, sagen sie. Und etwas, das Tursen seinem Sohn auf jeden Fall mitgeben will fürs Leben.
Stand: 01.08.2019 02:30 Uhr
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