So., 04.02.18 | 19:20 Uhr
Das Erste
Kolumbien: Speisen hinter Gittern
Tags in Küche und Gastraum, abends zurück in die Zelle. Das ist der Alltag von Nilda und Candelaria im Frauengefängnis der kolumbianischen Hafenstadt Cartagena. Klingt nach Schinderei, ist aber ein Glücksfall für die beiden Frauen. Im Restaurant "Interno" können sie Geld verdienen für die Familie draußen. Und: sie verkürzen ihre Haftzeit.
Mit jedem geleisteten Arbeitstag müssen sie einen Tag weniger sitzen. Die Gäste des Restaurants bleiben nur für die Dauer des Essens hinter Gittern. Sie begrüßen das Projekt – auch wenn es für manche zunächst seltsam war, von Kriminellen bekocht und bedient zu werden. Eine Reportage von Xenia Böttcher (ARD-Studio Mexiko-Stadt).
Hände, die feines Essen abrunden – Hände, die Drogen verkauft haben. Die fröhliche Bedienung…hat einen Mann getötet. Ein Restaurant im Gefängnis – mit Rezepten, die nach Freiheit schmecken. Für die einen ein Erlebnis, für die die anderen eine zweite Chance. Cartagena – Perle der Karibik. Einst kamen Piraten und Sklaven hierher, heute kommen Touristen. Hier mittendrin liegt das Frauengefängnis San Diego. Hier treffen wir Nilda, sie sitzt ein wegen Drogenhandel. "Das Leben im Gefängnis ist schwierig, man kann nicht machen was man will, man sieht seine Familie nicht, man muss mit Fremden leben, manche sind gut andere sind böse. Immer Gedränge ums Bad."
Die Gefangenen fühlen sich gebraucht
20 Frauen in einer Zelle. Kein Platz für ein eigenes Leben. Es ist schwül, heiß. Und jeder Tag ist wie der andere. Nilda aber hat eine Aufgabe. In wenigen Stunden erwartet sie 60,70 Gäste. Da müssen die Frauen im Bad einfach mal Platz machen. Sous-Chefin ist sie jetzt im Gefängnis-Restaurant "Interno". Eine unerwartete Karriere mit 55 findet selbst Nilda, vor allem aber eine Riesenchance. "Ich fühle mich gebraucht, ich habe mit Menschen zu tun und meine Strafe verkürzt sich." Für jeden Tag den Nilda arbeitet wird ein Tag der Haftstrafe gestrichen und sie lernt etwas fürs Leben: "Früher machte ich was ich wollte, niemand sagte mir, was ich tun soll. Jetzt habe ich aber Ziele im Leben. Das hatte ich vorher nicht."
Sterneköche haben bei der Ausbildung geholfen, sogar der Präsident war da. So viel Wohltat für eine Straftäterin. Wie finden das die Menschen dort wo Nildas Familie Drogen verkaufte? Ein Viertel gebaut über stinkenden Kanälen. Hohe Arbeitslosigkeit, hohe Kriminalität. Nein, Drogenhandel sei kein Kavaliersdelikt sagen Nildas Nachbarn. Und ja, sie waren sauer. Doch das Gefängnisprojekt gefällt, da hätten sie gerade eben noch drüber gesprochen. "Was die mit denen machen ist perfekt, man bringt sie dazu bessere Menschen zu sein", sagt eine Nachbarin. "Ich bin begeistert, dass es das Restaurant im Gefängnis gibt." Das Leben könne viele unverhoffte, verirrte Wege gehen. Jeder mache Fehler.
Zunächst Unbehagen bei den Gästen
Es wird Abend in Cartagena. Und die Hungrigen schwärmen aus. Wer im Gefängnis nicht reserviert hat wird keinen Platz bekommen. In der Küche wird es ernst. Es ist kein Hochsicherheitsgefängnis und die Frauen, die hier arbeiten haben sich in der Haft wohlverhalten. Dennoch, Candelaria hat einen Mann erstochen. Um einer Vergewaltigung zu entgehen, sagt sie. "Ich werde diese Nacht niemals vergessen können. Es hat mich sehr mitgenommen. Ich dachte ich sei ein schlechter Mensch. Jetzt nicht mehr. Es war so: sein Leben oder meines." Fast alle Bestellungen kommen gleichzeitig. Teamarbeit, Stressresistenz, Disziplin. Genau das ist es, was die Frauen lernen sollen. Genau das macht sie stark für die Welt da draußen.
Für ihre Arbeit hier bekommt Candelarias Familie draußen ein wenig Geld im Monat. Seit zwei Jahren hat sie ihre Kinder nicht mehr gesehen. Als die Gäste erfahren, daß sie einen Mann getötet hat kommt plötzlich Unbehagen auf. "Uah!! Das war mir sehr unangenehm. Ich dachte erst ich will hier nicht mehr sein. Dann hat sie mir die ganze Geschichte erzählt. Wie sie es erlebt hat und ich kann das akzeptieren." Ein Wechselbad der Gefühle, meist werden sie gefeiert und manchmal sind sie ausgeliefert. "Manchmal wollen sie einen erniedrigen", erzählt Candelaria, "sagen, du hast getötet, Mörderin…". 23 Uhr, Feierabend. Die Luft ist raus. Vielleicht noch ein Monat, dann könnte Nilda frei sein: Freiheit, irgendwie noch unwirklich.
Zurück in die triste Realität. Aber hier endet unsere Geschichte nicht. Denn am nächsten Tag kommen die, für die Candelaria sich hier so ins Zeug legt. Ihre Mutter und ihre beiden Kinder. Candelarias kleines Monatsgehalt ist für sie so unglaublich wichtig. Aus dem Gefängnis heraus also unterstützt sie ihre Kinder: "Allein für die Schule", sagt Nora Jimenez. "Sie brauchen noch eine Uniform, sie brauchen Schuhe, die Bücher sind auch sehr teuer." Das 20 Euro Busticket konnten sie sich zwei Jahre lang nicht leisten. Der Besuch heute ist ihre Überraschung. Vielleicht noch dieses Jahr könnte Candelaria frei und ganz für die Familie da sein, dann bekommt sie ihre zweite Chance.
Stand: 04.02.2018 21:27 Uhr
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