So., 05.02.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Afghanistan: Taliban verbieten bunte Kleider
Die Taliban in Afghanistan kündigen häufiger Liberalisierungen an – und handeln dann ganz anders. Jüngstes Beispiel: den afghanischen Textilhändlern wird es fast unmöglich gemacht, ihre traditionell farbenfrohen Kleider zu verkaufen. Das - wörtlich übersetzt - "Ministerium zur Verbreitung der Tugend und zur Verhinderung des Lasters" hat die Kleiderhändler jetzt "gebeten", die Köpfe ihrer Schaufensterpuppen zu entfernen oder mindestens zu verhüllen.
Immer strengere Vorschriften der Taliban
Gerne macht Doost Mohammad das nicht – und schon gar nicht freiwillig. Er muss die Köpfe seiner Schaufensterpuppen verhüllen, um mit den Taliban keinen Ärger zu riskieren. Viel Geld, Zeit und Liebe hat er in den Ausstellungsraum investiert, um die bunten Kleider wirkungsvoll in Szene zu setzen, um Kundinnen anzulocken. Doch das wird immer schwieriger. "Die Taliban haben uns gesagt, dass wir die Köpfe der Schaufensterpuppen entfernen müssen. Sie meinen, dass wir das aus religiösen Gründen tun sollten. Deshalb machen wir das auch. Teilweise mussten wir die Köpfe sogar abschneiden. Es sind die Regeln der Taliban – und denen müssen wir eben folgen.”
Die Geschäfte laufen schlecht. Seit die Taliban die Macht übernommen haben, liegt die Wirtschaft am Boden. Millionen Menschen haben kein Einkommen und kein Geld mehr. Das spüren auch die Verkäufer hier im Kleidermarkt Kabuls. Wo auch Mohammad Sadiq sein Geschäft hat. Überrascht von den immer neuen bizarren Regeln der Taliban ist er aber schon lange nicht mehr. "Die Leute sind frustriert, sie sind depressiv. Jeden Tag gibt es neue Regularien der Taliban, neue Dekrete. Das ist verheerend für unser Geschäft und für alle Menschen in Afghanistan.”
Aus Geboten werden Gesetze
Dieses Ministerium der Taliban steckt hinter den neuen Regeln. Das, so wortwörtlich übersetzt, Ministerium zur Verbreitung der Tugend und zur Verhinderung des Lasters. Hakif Mahajir und seine Kollegen sind dafür verantwortlich, dass gesellschaftliche Regeln der Taliban auch eingehalten werden. "Die Schaufensterpuppen sind Statuen sehr ähnlich. Laut dem Islam bringen Statuen kein Glück und keine positive Energie. Es geht niemals etwas Gutes von ihnen aus.”
Doch laut dem Sittenwächter sei das Ganze ja ohnehin nur ein Gebot. Das Problem: Gebote werden unter den Taliban sehr schnell zu Gesetzen. Deshalb glauben es auch nur die Wenigsten, wenn Hakif Mahajir von einem Missverständnis spricht. "Wir werden Ladenbesitzer nicht dafür bestrafen, wenn sie die Köpfe der Schaufensterpuppen nicht abschlagen oder bunte Kleider verkaufen. Wir haben sie ja lediglich darum gebeten. Es ist kein neues Gesetz. Aber natürlich bedanken wir uns bei denen, die sich an unseren Wunsch halten.”
Die Frauen bald nur noch in schwarz?
Besonders betroffen von diesen "Wünschen” sind Frauen wie Husna Rawofi. Die 21-jährige entwirft Kleider. Sie wollte eigentlich Modedesign studieren. Doch das verbieten die neuen Regeln. "Universitäten sind geschlossen, auch andere Bildungszentren sind zu. Selbst in Parks dürfen wir teilweise nicht mehr hinein. Vor ein paar Tagen erst hat mich ein Talib davon abgehalten, einen Park zu betreten. Es ist alles so traurig. Alle Türen scheinen für uns geschlossen zu sein, ich bin einfach nur noch müde.”
Dazu kommt, dass die Taliban angekündigt haben, schon in naher Zukunft keine farbenfrohen Kleider mehr auf den Straßen sehen zu wollen. Husna würde dann nur noch schwarze Kleider nähen dürfen. Als Modedesignerin würde ihr damit eine der letzten Möglichkeiten genommen werden, sich auszudrücken und zu verwirklichen. "Bunte Kleider sind extrem wichtig für unser Geschäft. Jede Farbe hat ihre eigene Schönheit. Und die Leute erfreuen sich daran. Wenn wir nur noch schwarze Kleider fertigen würden, dann wäre es den Frauen vor allem im Sommer viel zu heiß. Ihnen würde es nicht gut gehen. Frauen müssen einfach bunte Kleidung tragen können.”
Im Kleidermarkt von Kabul herrscht Frustration. Das Geschäft liegt am Boden. Wenn bald auch noch die bunten Kleider verschwinden, geht nicht nur die letzte Lebensfreude, sondern noch mehr Geld verloren. "Die Machtübernahme der Taliban hatte einen negativen Effekt auf ganz Afghanistan – in sämtlichen Bereichen", sagt Doost Mohammad. "Egal welchen Beruf man ausübt: Maler, Schuhputzer…jedem geht es schlechter. Als Geschäftsleute trifft es uns genauso hart, wie alle anderen. Denn wenn die Leute kein Geld haben, können sie auch keine Kleider bei uns kaufen.” Er wolle doch bloß in Frieden leben und ein stabiles Einkommen haben, sagt Doost Mohammad.
Autor: Oliver Mayer, ARD-Studio Neu-Delhi
Stand: 06.02.2023 15:26 Uhr
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