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Arktis: Klimawandel am Ende der Welt

Arktis: Klimawandel am Ende der Welt | Bild: WDR

Wer ans Ende der Welt will, wird kräftig durchgeschüttelt. 170 einsame Kilometer über den Dempster Highway, bis Tuktoyaktuk. Hier beginnt der Arktische Ozean. Das erste eigene große Projekt. Deva-Lynn Pokiak kann’s selbst noch nicht fassen, dass sie eine feste Stelle im Team von Dustin Whalen bekommen hat. Als einzige ohne Studium in dem kanadisch-britischen Team, und als einzige Inuit. "Die Gemeinde macht sich Sorgen über den Staub, die Bodenstabilität, die Küstenerosion und unsere Wasserwege. Deshalb sind wir hier draußen, um Daten zu sammeln – mit der Hilfe der Wissenschaftler", erzählt sie.

Forschung profitiert von Zusammenarbeit

Ihn kennen sie alle in Tuk, wie sie ihren Ort liebevoll nennen. Seit fast 20 Jahren kommt Dustin Whalen regelmäßig hierher. Anders als seine Kolleg:innen, die ein- und ausfliegen, um Daten zu sammeln, hat der kanadische Permafrost-Forscher früh erkannt, wie wichtig es ist, Indigene wie Deva-Lynn an Bord zu holen. "Die Einheimischen, wie Deva-Lynns Vater zum Beispiel, die wissen so viel mehr über das Land als das, was ich jemals aus meinen akademischen Büchern lernen kann – über Klimawandel oder Küstenerosion", sagt der Küstengeologe.

Artkis: Deva-Lynn Pokiak forscht mit internationalen Wissenschaftlern zusammen.
Artkis: Deva-Lynn Pokiak forscht mit internationalen Wissenschaftlern zusammen. | Bild: WDR

Training mitten auf dem Polarmeer. "Temperature stabile". Wie erhebt man Daten, dass sie wissenschaftlich genutzt werden können? Ihre Kolleg:innen machen Deva-Lynn fit für die Forschung. "Das ist eine große Chance für unser Dorf – und auch die westlichen Wissenschaftler können viel lernen, wenn sie offen sind für unsere Kultur. Zusammen sind wir ein gutes Team", findet sie.

Dustin nimmt uns mit nach Tuk-Island. Diese vorgelagerte Insel ist wie eine Lebensversicherung für den einzigen kanadischen Hafen in der  westlichen Arktis. Von hier aus versorgen Schubschiffe alle abgelegenen Regionen. Doch die Insel schrumpft, zwei Meter jedes Jahr, und bei den Rekordtemperaturen in diesem Sommer sogar noch schneller.  

Seid vorsichtig, warnt Dustin, immer von Grasfleck zu Grasfleck springen. Dazwischen tiefer Matsch. Die Küste schmilzt. Meter dickes Eis, ungeschützt der Sonne ausgesetzt. "Hier ist der Permafrost aufgetaut und legt das Eis frei. Man kann das Eis richtig sehen. Sobald es an die Luft kommt, schmilzt es. Aber es gibt einen großen Teil des Klimawandels, den man nicht mit bloßem Auge sieht. Ein wichtiger Faktor ist die Freisetzung von Treibhausgasen wie Methan. Das entsteht, wenn Permafrost taut, Materie zersetzt wird – das geht dann in die Atmosphäre", erklärt er.

Die Folgen des Klimawandels – hier besonders sichtbar

Die arktische Region erwärmt sich viermal schneller als der Rest der Welt – die Folgen könnten wir alle zu spüren bekommen. Ein Kilometer lang, und immer schmaler. "Hier sind anderthalb Meter weggebröckelt. Seit Ende Juni – Anfang Juli", sagt Geologin Rebecca Lee und Dustin Whalen erzählt: "Wir kennen doch alle die Sprüche: Als ich klein war, war alles anders. Aber jetzt sagen die jungen Leute, letzten Sommer war alles anders. Da konnte ich noch über eine Sandbank gehen – die ist jetzt komplett weg, weil das Eis darunter aufgetaut ist."

Arktis: Die arktische Region erwärmt sich viermal schneller als der Rest der Welt.
Arktis: Die arktische Region erwärmt sich viermal schneller als der Rest der Welt. | Bild: WDR

Fast 30 Grad in der Arktis. An einen so langen und heißen Sommer können sich die Einheimischen nicht erinnern. 1.000 Einwohner:innen, viele Inuit-Familien leben seit Generationen hier – und fragen sich: Wie lange noch? Noella Cockney hat ihren Kampf gegen den Klimawandel schon verloren. Die Wellen haben so lange an dem Boden unter ihrem Haus genagt, bis es zu gefährlich war, hier zu wohnen: "Der Eingang war hier an der Seite, da wo du stehst. Ja, hier stand einmal mein Haus. In den letzten ein zwei Jahren habe ich mir jeden Sommer Sorgen gemacht, dass die Fenster eingeschlagen werden, weil das Meer bei Stürmen Geröll gegen die Küste geschleudert hat und dann Steine gegen mein Haus flogen."

Ihr Cousin hat den Hang notdürftig befestigt, aber seine Scheune ist schon jetzt nicht mehr sicher. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, sagt die pensionierte Polizistin. Tuktoyaktuk hat zwar gerade Millionen von der Regierung bekommen, um die Küste zu schützen – aber auch das dürfte nur kurzfristig helfen. "Langfristig müssen wohl alle meine Nachbarn ins Inland ziehen. Es ist hart, das zu begreifen. So viele Menschen werden ihre Heimat verlieren wegen des Klimawandels", befürchtet Noella Cockney.

Wichtige Daten für die Zukunft in der Region

Sie sammeln Daten, die den Inuit helfen sollen, sich an den Klimawandel anzupassen. Dafür ziehen James Martin und Craig Warren stundenlang mit ihrem Bodenradar durch Tuk. Auch sie gehören zu Dustins Team. Ihr Gerät misst, wie dick die Permafrost-Schicht unter der Straße ist. "Ich bezweifle, dass der Ort langfristig gerettet werden kann. Aber hier wird ja schon viel darüber geredet, wie die gesamte Gemeinde an eine neue Stelle verlegt werden kann. Wir gucken uns an, wie neue Infrastruktur den Permafrost beeinflusst. In der Hoffnung, dass wir helfen können, die Häuser in der neuen Gegend sicherer zu machen", sagt der Geophysiker James Martin.

Team-Meeting am Küchentisch. Diva-Lynn ist längst festes Mitglied in dem Wissenschaftsteam, stellt bei internationalen Konferenzen ihr Projekt vor. Im Winter, wenn die Forscher:innen wieder an ihren Unis sind, klappert sie die Messstationen ab, sammelt im Ort und im Meer Daten und Proben: "Das ist gut, diese Arbeit spornt mich an, mehr zu lernen und meine Ausbildung voranzutreiben. So kann ich auch den anderen im Dorf zeigen, was man alles erreichen kann hier vor Ort." "Wenn du mit Indigenen auf Augenhöhe arbeitest, dann kapierst du, was für sie wichtig ist. Und dass bessere Ergebnisse für sie auch bessere Ergebnisse für uns Wissenschaftler bedeuten", sagt Louise Mercer.

Zum Abschied nimmt uns Dustin mit auf eine Halbinsel, die für die Forscher:innen besonders spannend ist. Riesige Eiswände glänzen in der Abendsonne. Bis zu 40 Meter verschwinden hier im Jahr. Mit Zeitraffer dokumentiert Dustins Team die Erosion. "Da unten ist eine Schicht von massivem Eis", erklärt Louise Mercer und Michael Lim sagt: "Wir haben das Gefühl, etwas Positives zu tun, wenn wir Daten sammeln, mit den Einheimischen arbeiten, von ihnen lernen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Für mich als Wissenschaftler der größte Erfolg, den es gibt."

Die Folgen des Klimawandels – hier sogar zu hören. Von den Inuit haben Dustin und seine Kollegen erfahren, dass Widerstandsfähigkeit Teil ihrer Kultur ist. Eine Fähigkeit, von der auch die westlichen Wissenschaftler:innen lernen. 

Autorin: Marion Schmickler / ARD New York

Stand: 27.08.2023 19:49 Uhr

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