So., 27.08.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Großbritannien: Knallharter Asylkurs
An Englands Südküste wird dieser Kahn angeschleppt. Es ist die neuste Idee der britischen Regierung gegen Flüchtlinge. Die Menschen, die hier in Portland leben, wurden nicht gefragt, ob sie das wollen. Einen schwimmenden Wohn-Kahn. Der beschauliche Badeort muss damit leben. Seit Anfang August ankert die Bibi Stockholm im Hafen der Halb-Insel, eine arg-schlichte Asyl-Unterkunft, mit Frischluft-Innenhof. Nicht mal Carralyn Parkes, die Bürgermeisterin, hatte ein Mitspracherecht: "Die Gemeinde, die Feuerwehr, der Gesundheitsdienst, die Polizei, niemand wurde eingebunden. Die Regierung hat angekündigt: Hier sind wir, so wird es gemacht. Es ist eine schreckliche Art Menschen unterzubringen. Asylsuchende muss man in der Gemeinde unterbringen, nicht auf einem Kahn im Hafen."
Im Ort gehen die Meinungen weit auseinander. Es geht so weit, dass sich Grüppchen bilden. Portländer:innen, die Flüchtlinge besser behandeln wollen brüllen gegen Portländer:innen, die Sorgen haben. "Ich fühle mich unsicher", erzählt eine Frau und eine andere sagt: "Warum sollte man Angst vor den Menschen haben?" "Jetzt sind wir in unserer Stadt gespalten, dabei wollen wir doch alle das gleiche. Nicht so einen Wohn-Kahn", findet eine dritte Person.
Aber die britische Regierung will das Schiff. Als Symbol von Abschreckung. Wie sie sagt als "schlagkräftige Botschaft". Auf die ersten Flüchtlinge wartete vor allem wenig Platz. Für 220 Menschen ist das Schiff ausgerichtet. Mit Etagenbetten können doppelt so viele einziehen. Raus kommen die Asylsuchenden nur unter erschwerten Bedingungen. Der Hafen, in dem sie ankern, ist Sperrgebiet. Betreten verboten. Von Zeit zu Zeit fährt sie ein Bus in den Ort. Und noch mehr solcher Einrichtungen sollen folgen. Bessere Unterkünfte, sagt Marco Longhi, Abgeordneter der regierenden Tories, seien zu teuer. Den Wohn-Kahn hält er für passend: "Wenn Flüchtlinge damit nicht glücklich sind, sollen sie doch zurückgehen, wo sie herkommen."
Harsche Politik der konservativen Partei
Flüchtlinge, die über den Ärmelkanal ins Königreich kommen sind für die Regierung ein Graus. Sie zu stoppen, zu zeigen, dass niemand willkommen ist, hat für die Konservativen Top-Priorität. Ärgernis. Sie gibt den Weg und die harte Linie vor. Die britische Innenministerin Suella Braverman: "Die britische Bevölkerung soll wissen, welche Partei diese Invasion stoppen wird. Ich meine, es absolut ernst damit dieses Übel der illegalen Migration zu beenden. Koste es was es wolle. Ich weiß, dass ich im Namen all der anständigen, rechtsschaffenden Mehrheit der Briten spreche, die sichere Grenzen haben wollen."
Wer den Weg über den Kanal wählt, kommt nach Ankunft im Königreich in Haftzentren. So will es ein neues Gesetz. Sie dürfen kein Asyl mehr beantragen und sollen schnellstmöglich abgeschoben werden. Auch Schwangere und Kinder kann es treffen. All das könnte – vermuten Regierung und Abgeordneter Longhi selbst – gegen internationales Recht verstoßen. Spiele aber keine Rolle. "Das Land hat für den Brexit gestimmt und uns anschließend gewählt, damit wir Gesetze verabschieden die ihre Wünsche umsetzen. Wenn wir das nicht machen, werden wir auch nicht wiedergewählt."
Ein weiterer Plan Flüchtlinge loszuwerden ist Ruanda. Innenministerin Braverman will sie in das afrikanische Land ausfliegen. Gibt als Ausgleich Geld. Unterkünfte hat sie sich schon zeigen lassen. Aber Anwälte haben diese Abschiebe-Versuche vorerst rechtlich gestoppt. Ein Gericht klärt nun, ob der Plan überhaupt legal ist. Und nun wird es schmutzig. Auch Anwältin Jaqueline McKenzie hat eine Abschiebung nach Ruanda verhindert. Und bekommt nun die Wut der Regierung zu spüren. Die Partei brandmarkte sie in einer Kampagne als eine der Anwälte, die alles verhindern würde. Ihr Name und auch ihr Foto erschienen in Zeitungen. "Ich war echt schockiert, als ich die Artikel gesehen habe. Danach habe ich E-Mails bekommen. Einer wollte mich ertränken. Ein anderer mir die Kehle durchschneiden. Die Polizei musste eingeschaltet werden und ich habe mein Haus gesichert. Ich habe ja auch Kinder und einen Partner", erzählt die Anwältin.
Flüchtlings-Anwälte wie McKenzie diffamiert die britische Regierung schon länger: als linke Aktivisten. Sogar Premierminister Rishi Sunak macht aktiv mit: "Diese linken Anwälte machen Abschiebungen schwer. Er gegenüber ist doch auch nur ein linker Anwalt, der uns im Weg steht." "Sie greifen den Rechtsstaat an. Die Integrität von Anwälten. Sie wollen sagen, es liegt nicht daran, dass wir schlechte Politik machen. Jemand anderes ist Schuld. Sie lenken davon ab, dass sie die eigentlichen Probleme nicht in den Griff bekommen", erklärt Jaqueline McKenzie.
In Portland mussten die Flüchtlinge aus dem Wohn-Kahn erstmal wieder ausziehen. Das Trinkwasser war mit Legionellen verseucht. Schon bald sollen sie zurückkehren. Denn das Schiff soll eine Botschaft aussenden: Wie unbequem Großbritannien ist.
Autor: Sven Lohmann / ARD London
Stand: 27.08.2023 19:48 Uhr
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