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Ukraine: Leben nach dem Dammbruch

Ukraine: Leben nach dem Dammbruch | Bild: WDR

Das kleine Dörfchen Afanasiivka, östlich von Mykolaiv. Eigentlich eine mit Wasser gesegnete Gegend. Nun gibt es hier kaum Trinkwasser. Nur das, was Hilfsorganisationen liefern. Früher kam das Trinkwasser aus dem Kachowka  Stausee. Nach dem Dammbruch spülten die Wassermassen Darmbakterienbakterien in die Brunnen und ins Grundwasser. Viele der Häuser hier wurden zerstört. Auch das von Victor Proc: "Das Wasser ging bis hier. Sehen sie die Streifen dahinten. Als es dann zurückging, hat es Spuren hinterlassen vom Öl. Und im Wohnzimmer ist eine ganze Wand einfach umgefallen. Es ist halt ein altes Haus."

Zusammen mit seinem Nachbarn hat er angefangen zu verputzen, auch wenn noch längst nicht alle Wände wieder trocken sind. Viktor konnte nur wenig aus den Fluten retten, wie den kleinen Fernseher zum Beispiel. Das meiste wurde zerstört. Die Wassermassen kamen mit solcher Wucht, erzählen sie mir und haben dann tagelang das ganze Dorf von der Umwelt abgeschnitten. 

Ein Tag, der alles veränderte

Rückblick. In den frühen Morgenstunden des 6. Juni bricht der Kachovka Damm nach einer Explosion im Wasserkraftwerk, ausgelöst durch eine Sprengung im Maschinenraum – vermutlich durch russische Streitkräfte.  Der Staudamm liegt am Fluss Dnipro bei Cherson im russisch besetzen, südlichen Teil der Ukraine. Ganze Städte und Dörfer entlang des Dnipro werden von den Wassermassen überflutet. Tausende Menschen müssen evakuiert werden.

Ukraine: Aufräumarbeiten auch noch drei Monate nach dem Staudammbruch.
Ukraine: Aufräumarbeiten auch noch drei Monate nach dem Staudammbruch. | Bild: WDR

Und heute: Victor geht langsam das Geld aus. Er hofft, dass ihm der Vertreter der Bezirksregierung unter die Arme greifen wird. "Zunächst waren die Menschen traumatisiert. Viele wussten weder ein noch aus. Wir haben sie vor allem mit Lebensmitteln versorgt, mit Windeln, Toilettenpapier, Tampons. Jetzt geht es darum, ihnen zu helfen, die Kälte zu überstehen. Sie brauchen Baumaterialien. Sie wollen ihre Häuser schnell wieder aufbauen. Der Winter steht vor der Tür", sagt Vasyl Khomko von der Bezirksregierung.

Vor dem Dammbruch war Viktor, dank seines Gartens,  Selbstversorger – wie die meisten hier: "Ich hatte hier alles: Melonen, Kartoffeln, Rote Beete, Kohl. Wir hatten alles selbst. Ich brauchte nichts zu kaufen. Das alles wurde weggeschwemmt. Und selbst die Bäume, Aprikosen und Kirschbäume, sind eingegangen und die Johannisbeeren. Nur wir leben noch, alles andere ist weg. Jetzt müssen die Nachbarn das bezeugen, damit mir die Bezirksregierung das irgendwie ersetzt. Morgen kommen die Inspekteure vorbei."

Viele haben alles verloren

Früher war hier Wasser, soweit das Auge reichte, wo jetzt Gras sprießt. Der Wasserstand des Dnipro ist um 70 Prozent gesunken. Deshalb können viele Dörfer nicht mehr mit Wasser versorgt werden, weil die Pumpstationen ausgefallen sind. Wir schauen uns an, was das für die Menschen bedeutet. Im kleinen Dorf Rosumiwka, südlich von Saparischja.

Lidiya checkt seit 40 Jahren regelmäßig den Wasserstand und die Wasserqualität: "Hier war normalerweise immer Wasser bis zu dieser Brücke. Schauen sie selbst." Auf ihrem Handy zeigt sie mir, wie es hier früher aussah.Täglich geht sie zum Ufer des Dnipro. Da der Wasserstand so niedrig ist und die Sensoren nicht mehr im Wasser hängen, misst sie mit dem Lattenpegel. Ihre Zahlen gibt sie weiter an die lokalen Wasssermessstellen. Vier Meter sei der Dnipro schon gefallen, klagt sie: "Der Wasserstand fällt und fällt. Selbst seit heute morgen. Da war ich schon mal hier. Seitdem ist der Pegel wieder gesunken."

Mittlerweile ist die Wasserversorgung in mehr als 80 Dörfern entlang des Dnipro eingeschränkt. Ihr Trinkwasser kam aus dem Fluss und dem Kachowka Staudamm, erklärt mir Lidiya: "Die Menschen, die hier in diesem Naturparadies wohnen, hatten alle Brunnen. So konnten sie ihr Land wässern. Alle hier hatten Gärten und Gemüse. Jetzt ist das Wasser gekippt." Bislang war die Gegend ein Naherholungsgebiet für Menschen, die in Saparischja leben und arbeiten. So auf für Iryna und ihre Familie. "Ich habe hier 2008 eine Datscha gekauft, weil es hier so unglaublich schön ist. Viele Vögel, tolle Pflanzen, und dann brach der Kachovka Damm. Schauen Sie, wie es hier jetzt aussieht. Es ist so traurig. Jetzt sage ich den Kindern: Auf keinen Fall dürft ihr das Wasser schlucken", erzählt sie. "Was habe ich gesagt? Ihr dürft das Wasser nicht trinken", sagt sie erneut und ihr Sohn antwortet: "Ich habe es doch nicht getrunken."

Jetzt, wo das Wasser gesunken ist und voller Giftstoffe, haben die Kinder Entdeckungen gemacht. "Hier an dem Strand waren überall tote Fische und Muscheln. Die lagen dann hier und verwesten", erzählt Iryna und die Kinder ergänzen: "Welse und Hechte. Die lagen hier überall. Große und Kleine." Und auch Minen wurden angeschwemmt. Iryna lässt die Kinder beim Schwimmen nie aus den Augen. Sie hat ihnen eingebläut gut aufzupassen. "Und da hinten an dem Ufer haben meine Geschwister eine Mine gefunden. Da hinten war die Mine. Alle mussten daraufhin den Strand  verlassen und die Männer vom Zivilschutz haben sie dann zur Explosion gebracht", beschreibt Ruslan und Iryna sagt: "Sie sind Kinder des Krieges, kennen jegliche Artillerie, alle Namen. Ich kenne die nicht. Sie wissen genau, welche Raketen über unsere Köpfe fliegen."

Die Folgen des Dammbruchs werden noch lange spürbar sein. Die nächsten Monate werden hart, vor allem auch für Rentner, wie Lidiya und ihren Bekannten. Mit ihren kleinen Renten können sie die hohen Lebensmittelpreise kaum zahlen. "Unser Gemüse war das billigste in der ganzen Ukraine. Und jetzt ist Gemüse hier fast so teuer wie Fleisch. Und noch gefährlicher: das Atomkraftwerk in Saporischschja. Die Reaktoren sind zwar abgeschaltet, aber wenn sie jetzt wieder hochgefahren werden. Wer weiß was Putin und seine Bande planen. Dann kommt einfach es darauf an, wie der Wind steht", sagt Ivan Koval.

Im Augenblich versuchen sie nicht daran zu denken. Den Alltag bewältigen, das sei schon schwer genug.  Nach dem Hochwasser – jetzt der Wassermangel. Die Menschen entlang des Dnipro im Süden der Ukraine werden noch lange mit diesen Folgen und dem Krieg leben müssen.

Autorin: Birgit Virnich / ARD Kiew

Stand: 27.08.2023 19:48 Uhr

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