So., 26.05.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Malaysia: Wenn Oma und Opa "entsorgt" werden
86 Jahre ist sie alt. Doch stolz ist Robi Lazin darauf nicht. Die Zeit vergehe viel zu langsam. Das hohe Alter sei wie ein Fluch. Sechs Kinder hat sie großgezogen. Doch jetzt ist sie die meiste Zeit allein zu Haus. Einmal in der Woche kehrt das Lächeln auf ihr Gesicht zurück, dann, wenn Aziza und Siti vorbeischauen. Die beiden Frauen kümmern sich ein paar Stunden um die, für die sonst niemand mehr Zeit hat.
"Deine Nägel sind lang. Die müssen geschnitten werden." sagt Aziza. Sie hilft bei der Körperpflege und ein wenig im Haushalt, begleitet die alte Dame beim Arztbesuch. Und das wichtigste: Sie ist da, um einfach nur zuzuhören!
Andere haben alles verloren: Ihr Zuhause, Zuwendung und Halt in der Familie. Von ihrem alten Leben ist nichts mehr übrig geblieben: 40 Senioren - zusammengepfercht in einen Raum. Von der eigenen Familie wurden sie verstoßen und ausgesetzt.
In diesem Altenheim am Stadtrand von Kuala Lumpur sind sie nun sich selbst überlassen. Dabei sind die meisten krank. Doch nach Pflegepersonal sucht man vergeblich.
Ah Fong weiß nicht wie lange sie schon hier liegt, warum sie überhaupt hier ist. Doch sie erinnert sich an ihre zwei Töchter: Beide berufstätig, beide viel unterwegs. Für sie war da kein Platz mehr.
"Die sind weit weg. Die wollen mich nicht.“ Sie hat nur noch einen Wunsch, erzählt sie: "Tschi - Ich will sterben!"
Ihre Odyssee begann hier im größten Krankenhaus Malaysias. Im vergangenen Jahr wurden hier fast 200 alte Menschen in der Notaufnahme abgeben und nie wieder abgeholt. Die Angehörigen benutzen falsche Adressen und falsche Telefonnummern. Und das Krankenhaus hat kaum eine Chance, die Familie ausfindig zu machen.
Die Familie will sie nicht mehr, im Krankenhaus können sie nicht bleiben. Endstation: ein Bettenlager ohne Privatsphäre; ohne Menschlichkeit: Vom Staat haben sie nichts zu erwarten - keine Betreuung, keine Pflege, keine finanzielle Unterstützung. Stattdessen sind sie auf Spenden angewiesen und auf sich selbst. Wer kann, packt mit an.
Ngin Kai Ju ist 66 Jahre alt. Er lebt als einziger freiwillig hier und sorgt zumindest für eine warme Mahlzeit:
Fast schon makaber. Der Mann, der ihnen ein Dach über dem Kopf gibt, ist Bestattungsunternehmer. Unten stellt er Mustersärge aus und gleich darüber vegetieren 40 Senioren vor sich hin.
Der Zufall hat Cheong Loy zum Altenheimbetreiber gemacht. Am Anfang haben Bekannte ihn um Platz für die Eltern gebeten. Irgendwann fragten auch die Krankenhäuser an.
Was bei uns ein Pflegeskandal wäre, hier gilt es als Akt der Nächstenliebe. Der Geschäftsmann unterhält sein Altenheim mit Sachspenden. Um die Pflege kümmern sich Freiwillige. Und wenn die nicht können, müssen die Senioren sich eben selbst helfen.
Malaysia - ein Land der Widersprüche. Die Wirtschaft boomt - doch das soziale Klima ist rauer geworden. Wer kann, arbeitet bis zum Umfallen. Eun Ah Kow ist Taxifahrer - mit 72 Jahren. Jeden Tag sitzt er acht Stunden hinter dem Steuer. Eine Rente bekommt er wie so viele nicht. Und für große Ersparnisse hat es nicht gereicht.
Denn wer krank ist, wird zur Belastung. Zu lange hat die Regierung versäumt, in Betreuung und Pflege zu investieren. Jetzt wird Malaysia von der eigenen demographischen Entwicklung überrannt.
Die Antwort des Staates: Ein eher hilflos anmutendes Pilotprojekt. Eine Art Kita für Alte. Hier kann man Oma und Opa für ein paar Stunden abgeben. Damit sollen dann die gestressten Familien entlastet werden.
Doch nicht jeder alte Baum lässt sich so einfach verpflanzen. Wir treffen noch einmal Aziza und Siti. Die beiden besuchen Zahara Hassan. Ihre Kinder sind schon lange weit weg. Jetzt lebt die 88-Jährige alleine in ihrem Haus.
In Würde alt werden, in Würde sterben - eine neue Herausforderung für Schwellenländer wie Malaysia. Die Zeiten, in denen man in den Armen der Familie alt werden konnte, sie sind auch hier vorbei.
Autor: Norbert Lübbers, ARD Singapur
Stand: 15.04.2014 11:16 Uhr
Kommentare