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Malaysia: Wenn Oma und Opa "entsorgt" werden

Malaysia: Wenn Oma und Opa "entsorgt" werden | Bild: BR
Robi Lazin
Robi Lazin  | Bild: BR

86 Jahre ist sie alt. Doch stolz ist Robi Lazin darauf nicht. Die Zeit vergehe viel zu langsam. Das hohe Alter sei wie ein Fluch. Sechs Kinder hat sie großgezogen. Doch jetzt ist sie die meiste Zeit allein zu Haus. Einmal in der Woche kehrt das Lächeln auf ihr Gesicht zurück, dann, wenn Aziza und Siti vorbeischauen. Die beiden Frauen kümmern sich ein paar Stunden um die, für die sonst niemand mehr Zeit hat.

»Mit mir redet doch sonst kaum noch jemand. Meine Kinder haben ihre eigenen Interessen. Die Enkel arbeiten und meine Urenkel gehen zur Schule. Für mich ist niemand da. Robi Lazin«

"Deine Nägel sind lang. Die müssen geschnitten werden." sagt Aziza. Sie hilft bei der Körperpflege und ein wenig im Haushalt, begleitet die alte Dame beim Arztbesuch. Und das wichtigste: Sie ist da, um einfach nur zuzuhören!

»Der jungen Generation geht es vor allem um materiellen Wohlstand. Die denken nicht darüber nach, dass auch sie eines Tages alt sein werden! Und wer kümmert sich dann um sie? Azizah Abdul Malik, NGO Usiamas«

Alte Menschen in einem großen Saal
Massenlager für Senioren | Bild: BR

Andere haben alles verloren: Ihr Zuhause, Zuwendung und Halt in der Familie. Von ihrem alten Leben ist nichts mehr übrig geblieben: 40 Senioren - zusammengepfercht in einen Raum. Von der eigenen Familie wurden sie verstoßen und ausgesetzt.

In diesem Altenheim am Stadtrand von Kuala Lumpur sind sie nun sich selbst überlassen. Dabei sind die meisten krank. Doch nach Pflegepersonal sucht man vergeblich.

Ah Fong weiß nicht wie lange sie schon hier liegt, warum sie überhaupt hier ist. Doch sie erinnert sich an ihre zwei Töchter: Beide berufstätig, beide viel unterwegs. Für sie war da kein Platz mehr.

"Die sind weit weg. Die wollen mich nicht.“ Sie hat nur noch einen Wunsch, erzählt sie: "Tschi - Ich will sterben!"

Khairul Naim Bin Azis
Khairul Naim Bin Azis | Bild: BR

Ihre Odyssee begann hier im größten Krankenhaus Malaysias. Im vergangenen Jahr wurden hier fast 200 alte Menschen in der Notaufnahme abgeben und nie wieder abgeholt. Die Angehörigen benutzen falsche Adressen und falsche Telefonnummern. Und das Krankenhaus hat kaum eine Chance, die Familie ausfindig zu machen.

»Diese Patienten sind traumatisiert. Und auch wenn viele an Demenz leiden, sie spüren, dass sie nicht mehr gewollt sind. Sie haben sich mit ihrem Schicksal abgefunden. Und bei vielen besteht der Verdacht, dass sie körperlich wie seelisch missbraucht und vernachlässigt wurden. Khairul Naim Bin Azis, Kuala Lumpur Hospital«

Die Familie will sie nicht mehr, im Krankenhaus können sie nicht bleiben. Endstation: ein Bettenlager ohne Privatsphäre; ohne Menschlichkeit: Vom Staat haben sie nichts zu erwarten - keine Betreuung, keine Pflege, keine finanzielle Unterstützung. Stattdessen sind sie auf Spenden angewiesen und auf sich selbst. Wer kann, packt mit an.

Ngin Kai Ju ist 66 Jahre alt. Er lebt als einziger freiwillig hier und sorgt zumindest für eine warme Mahlzeit:

»Die meisten schämen sich. Sie wollen nicht darüber reden, nicht zugeben, dass sie von den eigenen Kindern im Stich gelassen wurden. Ngin Kai Ju, Koch«

Cheong Loy
Cheong Loy | Bild: BR

Fast schon makaber. Der Mann, der ihnen ein Dach über dem Kopf gibt, ist Bestattungsunternehmer. Unten stellt er Mustersärge aus und gleich darüber vegetieren 40 Senioren vor sich hin.

Der Zufall hat Cheong Loy zum Altenheimbetreiber gemacht. Am Anfang haben Bekannte ihn um Platz für die Eltern gebeten. Irgendwann fragten auch die Krankenhäuser an.

»Am Anfang waren es nur zwei oder drei. Und dann wurden es immer mehr. Ich habe es nicht übers Herz übergebracht, sie wegzujagen. Und dann haben wir angefangen, sie zu füttern und uns um sie zu kümmern. Cheong Loy, Beerdigungsunternehmer«

Was bei uns ein Pflegeskandal wäre, hier gilt es als Akt der Nächstenliebe. Der Geschäftsmann unterhält sein Altenheim mit Sachspenden. Um die Pflege kümmern sich Freiwillige. Und wenn die nicht können, müssen die Senioren sich eben selbst helfen.

»Wir haben da einen Mann von der Kirche und eine ältere Dame, die jeden Tag vorbei schauen, um die Windeln zu wechseln. Aber heute können sie nicht, weil sie ihre Enkel zur Schule bringen müssen. Cheong Loy, Beerdigungsunternehmer«

Eun Ah Kow
Eun Ah Kow | Bild: BR

Malaysia - ein Land der Widersprüche. Die Wirtschaft boomt - doch das soziale Klima ist rauer geworden.  Wer kann, arbeitet bis zum Umfallen. Eun Ah Kow ist Taxifahrer - mit 72 Jahren. Jeden Tag sitzt er acht Stunden hinter dem Steuer. Eine Rente bekommt er wie so viele nicht. Und für große Ersparnisse hat es nicht gereicht.

»Ich habe zwei Söhne, aber deren Einkommen reicht gerade für sie selbst. Da bleibt für mich nichts mehr übrig. Ich will keine Belastung sein. Da ist es besser, mein eigenes Geld zu verdienen, solange ich noch kann. Eun Ah Kow, Taxifahrer«

Denn wer krank ist, wird zur Belastung. Zu lange hat die Regierung versäumt, in Betreuung und Pflege zu investieren. Jetzt wird Malaysia von der eigenen demographischen Entwicklung überrannt.

Die Antwort des Staates: Ein eher hilflos anmutendes Pilotprojekt. Eine Art Kita für Alte. Hier kann man Oma und Opa für ein paar Stunden abgeben. Damit sollen dann die gestressten Familien entlastet werden.

Doch nicht jeder alte Baum lässt sich so einfach verpflanzen. Wir treffen noch einmal Aziza und Siti. Die beiden besuchen Zahara Hassan. Ihre Kinder sind schon lange weit weg. Jetzt lebt die 88-Jährige alleine in ihrem Haus.

»Ich werde hier bleiben. Das ist mein Zuhause. Ich gehe nirgendwo anders hin! Zahara Hassan«

In Würde alt werden, in Würde sterben - eine neue Herausforderung für Schwellenländer wie Malaysia. Die Zeiten, in denen man in den Armen der Familie alt werden konnte, sie sind auch hier vorbei.

Autor: Norbert Lübbers, ARD Singapur

Stand: 15.04.2014 11:16 Uhr

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