So., 26.05.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Marokko: Weiberwirtschaft in Marrakesch
Ein Gang über den Markt von Marrakesch ist immer auch ein Fest der Sinne, voller Farben und fremdartiger Gerüche. Myra und Saida Chab lieben den Soukh, hier bekommen sie Anregungen für ihre Arbeit.
Umtriebige Unternehmerinnen sind die Schwestern und richtige Pioniere: die beiden haben vor Jahren ein Frauen-Restaurant eröffnet.
Und das ist das Restaurant "Al Fassia" in Marrakesch. Mitarbeitertreffen zum Wochenbeginn, und dabei wird sofort klar: Hier haben die Frauen das Sagen. Die über 40 Angestellten sind fast alle weiblich, und das in der Männerwelt Marokkos. Diese Auswahl hat Methode: Saida und Myra wollen gerade jungen Frauen aus kleineren Städten und Dörfern eine Chance geben.
In der Küche werden die Speisen für den Abend vorbereitet: fein gewürztes Huhn, leckere Salate, dünne Fladenbrote. "Al Fassia" hat einen sehr guten Ruf.
Die 28-jährige Nawal Azizi kommt aus einer Bergregion. Sie lernt im Restaurant vor allem Selbstständigkeit – ganz im Sinne ihrer Chefin. Denn in Marokkos Provinz gelten andere Werte, dort werden immer noch Mädchen schon mit 14 oder 15 Jahren verheiratet.
Dann serviert sie am Abend Couscous und Tajine, während Geschäftsführerin Saida mit den Gästen parliert.
Männer sind in diesem Restaurant nur Randfiguren: Sie schleppen im Keller Kisten, arbeiten als Türsteher oder auch als Musiker. Doch die Hauptmusik spielen die Frauen, das hat sich herumgesprochen.
Am nächsten Tag Großeinkauf: Das Lebensmitteldepot wird von einer Tante der beiden Schwestern geführt. In Marrakesch ist ein kleines Frauennetzwerk entstanden.
Vor zwei Jahren hat Marokkos König, Mohamed VI., erstmals die Gleichheit von Mann und Frau in der Verfassung festschreiben lassen – auch unter dem Eindruck der arabischen Revolution in den Nachbarländern. Doch die Realität bleibt eine andere, sagt Saida.
Auch in Marokko wehren sich Frauen mit Demonstrationen gegen die alltägliche Diskriminierung - sie protestieren gegen Missbrauch und häusliche Gewalt.
Bei den Frauenorganisationen fürchtet man, dass von den islamistischen Tendenzen in der Region auch Marokkos Gesellschaft betroffen sein wird. Das Land sei ohnehin gespalten, in einen modernen und einen sehr traditionellen Teil.
Die Atlas-Region rund die kleine Stadt Khenifra – von hier stammt Nawal Azizi, die im Frauen-Restaurant arbeitet. Die junge Frau besucht ihre Eltern. Da wirkt die westlich gekleidete Nawal schon ein wenig wie von einem anderen Planeten. Für ihre Familie ist es nicht einfach zu ertragen, dass die 28-Jährige immer noch unverheiratet ist und allein in der großen Stadt lebt. Der Druck der Traditionen lastet schwer.
Zurück nach Marrakesch. Am Abend wirkt der Hauptplatz in der Medina besonders magisch. Nawal ist wieder voll in ihrem Element. Eine richtige Schulausbildung hat sie nie gehabt, aber nun verdient sie ihr eigenes Geld und geht ihren eigenen Weg. Das ist den Frauen von „Al Fassia“ wichtig.
In der Männerwelt Marokkos wird dies ein langer Weg sein. Noch wirkt das Frauen-Restaurant von Marrakesch wie eine Oase in der Wüste.
Autor: Stefan Schaaf, ARD Madrid
Stand: 15.04.2014 11:16 Uhr
Kommentare