So., 07.09.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Syrien: Pakt mit dem Teufel?
Die kleine Schneiderei ist Abu Seifs ganzer Stolz. Vor zwei Jahren ist er mit Frau und Kindern aus Homs nach Ägypten geflohen. Nur mit den Kleidern am Leib, sagt er. Was er in 40 Jahren in Syrien aufgebaut hatte, musste er zurücklassen.
Es sei hart hier in Ägypten: eine Aufenthaltsgenehmigung kaum zu bekommen. Das bisschen Unterstützung von der Regierung reiche hinten und vorne nicht. Aber Syrer seien fleißige Leute.
Abu Seif, syrischer Flüchtling in Kairo:
Abu Seif sympathisierte mit der Revolution, wie sein Onkel, der zwei Monate nach ihm nach Kairo kam. Ihr Syrien, ihr Homs, das gebe es nicht mehr.
Radwan Hassan Agha, Flüchtling aus Homs:
So sieht es in Homs heute aus: Assad hat die Rebellen mit schweren Waffen vertrieben. Der Westen habe ihn gewähren lassen, und das habe viele einst gemäßigte Kämpfer radikalisiert, meint die Auslandsopposition.
Khaled Saleh, oppositionelle Syrische Nationalkoalition:
Und auch das Regime hat – so paradox es klingt – die IS-Terroristen gestärkt. Während Assad gemäßigte Kämpfer in Aleppo bombardierte, verschonte er die IS-Hochburg Al Raqqa. Der Terror hat Assad politisch genützt.
Heiko Wimmen, Stiftung Wissenschaft und Politik:
Nun scheint die Wirklichkeit Assad Recht zu geben. Bashar oder islamistische Barbarei – ein dritter Weg scheint ausgeschlossen. Das Regime bietet sich dem Westen als Partner an im Kampf gegen den Terror.
Assad präsentiert sich als Schutzherr der Minderheiten, der Christen und Säkularen. Und damit rechtfertigt sein Regime jede denkbare Grausamkeit im Umgang mit allen Gegnern seiner Herrschaft.
Heiko Wimmen:
Zurück in Ägypten, weit weg vom Krieg. Abu Seif und sein Onkel leben in einem Vorort von Kairo, in den sich viele Syrer geflüchtet haben.
Heute fahren beide nach der Arbeit in der Schneiderei in ein Café. Sie sind auch Musiker, und singen für andere Syrer die Lieder aus der alten Heimat.
Viele Syrer glaubten, dass Assad für Sicherheit und Stabilität stehe, meint Abu Seif, und dass alle seine Gegner Terroristen seien. Aber das sei falsch.
Abu Seif:
Wie es ist, im sogenannten Islamischen Staat zu leben, das können die Menschen im nordsyrischen Azaz erzählen. Im Frühjahr vertrieben gemäßigte Rebellen die Terroristen aus der Stadt. Am Anfang waren die Leute vom IS noch zurückhaltend, berichtet dieser Mann. Aber dann wurde es unerträglich. Es gab öffentliche Hinrichtungen. Auch Kinder mussten zuschauen.
Ein Mann:
Heiko Wimmen, Stiftung Wissenschaft und Politik:
Khalid Saleh, oppositionelle Syrische Nationalkoalition:
Nach dem Fall von Tabka führen die IS-Terroristen ihre Propaganda im Internet vor. Triumphierend zeigen sie erbeutete Geschütze, Flugzeuge, Panzer und viele andere Waffen, auch deutsche. Ihr militärischer Erfolg macht die IS-Terroristen attraktiv für viele noch gemäßigte Rebellenkämpfer. Und ihre Gnadenlosigkeit auch: 160 gefangene syrische Soldaten sollen die Islamisten ermordet haben.
Abu Seif und viele andere syrische Flüchtlinge hier in Kairo trauen Assad längst nicht mehr zu, dass er den Terror, den er entfesselte, am Ende besiegen kann. Nur zufällig heißt das Café, in dem sie sich treffen "Café Roma" – aber eigentlich passt der Name.
Ahmed Abu Ammar, Flüchtling aus Damaskus:
Sie alle wollen weiter, auch Abu Seif, am liebsten eben nach Europa. Syrien – das sei Geschichte. Dieses Land gebe es eigentlich gar nicht mehr.
Autor: Volker Schwenk, ARD-Kairo
Stand: 08.09.2014 10:02 Uhr
Kommentare