So., 24.11.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Brasilien: Bäume statt Rinder
Brasilien erlebt zurzeit die schlimmste Dürre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Der Wassermangel bringt vor allem die Landwirtschaft in Bedrängnis. Doch bei den Farmern setzt durch die Krise ein Umdenken ein – zugunsten der Natur.
Es wird immer trockener
Es sieht wildromantisch aus. Aber die filmreife Prärielandschaft von Minas Gerais ist ein Problem. Denn eigentlich war hier mal Regenwald. Um Weideland für Rinder zu gewinnen, wurde dieser in den letzten 50 Jahren abgeholzt. Jetzt gibt es in den Hügeln am Rio Doce nur noch wenige grüne Oasen. Und selbst die sind in Gefahr. Brandrodung. Buchstäblich ein Spiel mit dem Feuer. Denn es ist knochentrocken. "Das letzte Mal Regen hatten wir am 30. Mai – und ab dann: nichts mehr!" Pedro Martins führt seit Jahren Buch über das Wetter auf seiner Farm im Südosten von Brasilien. Und die Zahlen zeigen: es wird immer trockener. "Ich verstehe nicht, warum das Klima sich so verändert hat. Es macht mir Sorgen, große Sorgen."
Und diese Sorgen bewegen den 74-jährigen so sehr, dass er sich auf ein Projekt einlässt, dem er bislang skeptisch gegenüberstand: nämlich einen Teil seines Weidelandes aufzugeben und dort Bäume zu pflanzen. Das bedeutet zwar erstmal einen Verlust, am Ende steht aber ein Gewinn. Denn durch das Anpflanzen lockert sich die durch die Rinder plattgetrampelte, betonharte Erde. Der Grundwasserspiegel steigt – und wo früher Dürre war, sprudelt es. "Hier ist das Wasser zum ersten Mal rausgekommen und da fließt es hin."
Mehr Bäume und das Wasser kehrt zurück
Geholfen bei dem Ganzen hat der Umweltingenieur Jonas Silva. Der arbeitet für eine Naturschutz-Organisation und hat schon einige Bauern überzeugt, dass Aufforstung eine gute Idee ist. Für die Natur, aber auch für die Landwirte. "Die sehen einfach: es funktioniert. Das Wasser kommt zurück." Aber es ist auch viel Arbeit. Denn die Landwirte müssen ständig achtgeben, dass kein Vieh von außen in die Pflanzungen eindringt. "Das Problem ist: Die Rinder sehen das Grün und wollen da rein, um zu fressen. Aber sie würden alles zertrampeln, die Erde wieder verdichten und dann gäbe es kein Wasser mehr.”
Eine Sisyphus-Arbeit – aber die Mitarbeiter des Instituto Terra sind hartnäckig. Pedro Martins haben sie überzeugt – er hat mittlerweile fast keine Rinder mehr. Stattdessen Kaffee und Bananen. "Das mit dem Vieh hat einfach nicht mehr so viel Gewinn gebracht. Wir mussten so viel zufüttern, wegen der Trockenheit. Das hat sich nicht mehr gelohnt. Aber mit Kaffee und Bananen – da läuft es."
Sebastiao Salgado begründet Projekt zur Aufforstung
Aufforstung als Gewinn. Mit dieser Idee ziehen die Naturschützer von Farm zu Farm. Und immer mehr Bauern machen mit. Zurück geht das Ganze auf ihn hier. Der berühmte Fotograf Sebastiao Salgado begann in den 90er Jahren damit, das Farmland seines Vaters aufzuforsten – vielen bekannt durch den Dokumentarfilm "Das Salz der Erde" von Wim Wenders. Aus diesem Einzelprojekt ist über die Jahre das Instituto Terra entstanden. Hier kultivieren sie bis heute aus Samen Setzlinge. Aber nicht nur Pflanzen ziehen die Naturschützer heran – auch Kinder werden hier groß. Zweimal die Woche kommen sie von umliegenden Schulen zu der Naturschutz-Organisation und lernen, wie wichtig es ist, den Wald, den es hier einmal gab, wieder aufzuforsten. "Das machen wir für eine bessere Zukunft", erklärt Leandro Nobre Ribeiro. "Denn wenn wir es nicht besser machen als bisher, dann könnten wir an der Dürre sterben. Die Filme, die sagen, dass die Welt eines Tages untergeht, könnten wahr werden."
Leandro ist 11 Jahre alt. Aber er hat schon viel gelernt. Und er trägt sein Wissen auch nachhause. Denn wie viele Kinder im Instituto Terra kommt er aus einer landwirtschaftlichen Familie. Sein Opa zum Beispiel betreibt eine kleine Farm. So wie die meisten Bauern hier hatte auch er früher vor allem Rinder. Bäume zu pflanzen wäre ihm nicht in den Sinn gekommen. Aber die Trockenheit und sein Enkel haben ihn ins Nachdenken gebracht. "Vor dem Projekt habe ich nicht daran geglaubt, dass diese Naturschützer helfen könnten, die Dinge zu verbessern", sagt Farmer Ruy Nobre. "Aber mit der Zeit habe ich gemerkt, dass es funktioniert."
An Wasser mangelt es ihm nun nicht mehr. Trotz der extremen Trockenheit. Noch sind Bauern wie er in der Minderheit. Aber der Klimawandel bringt immer mehr Landwirte ins Nachdenken. Und die nächste Generation ist ohnehin schon einen Schritt weiter. Ob sie wirklich sehen, wie die Bäume, die sie hier pflanzen, großwerden – das wissen sie nicht. Aber nichts zu tun, ist keine Alternative. Und so steckt in jedem Kind und in jedem Setzling hier ein Stück Hoffnung. Auf eine Zukunft, in der aus Braun Grün wird. Und die Menschen am Rio Doce trotzdem von ihrem Land leben können.
Autorin: Natalie Akbari
Stand: 25.11.2024 15:44 Uhr
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