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Chile: Colonia Dignidad - Schleppende Aufarbeitung

Chile: Colonia Dignidad - Schleppende Aufarbeitung | Bild: picture alliance / dpa | Benjamin Hernandez

In diesem Haus wurden unzählige Jungen sexuell missbraucht, in diesem hunderte Kinder brutal verprügelt. Unter dieser Scheune wurden politische Gefangene gefoltert und ermordet: Die deutsche Sekte Colonia Dignidad.

Wer heutzutage hineinfährt, erlebt einen Tourismusbetrieb: "Villa Baviera" – Bayerisches Dorf: Ein deutschtümelnder Ort – mit Bier, Schweinshaxe und aufdringlicher bajuwarischer Gemütlichkeit.

Ein Unding, findet der Abgeordnete Michael Brand, der seit Jahren für Aufarbeitung kämpft: "An diesen Orten, wo gefoltert und missbraucht worden ist, dass dort heute bayerische Familienfeste und Hochzeiten gefeiert werden, ist ein Skandal. Das ganze Kapitel ist eine Schande für die deutsche Diplomatie."

Deutsche Beteiligung

Denn die deutsche Botschaft in Chile hatte über Jahrzehnte den pädophilen Sektenchef Paul Schäfer unterstützt. Geflüchtete deutsche Missbrauchsopfer wurden sogar zurück zu ihm in die Sekte geschickt. Dort mussten Insassen wie Sklaven arbeiten: abgeriegelt, eingesperrt in einem Gefängnis unter freiem Himmel. Und: Die deutsche Sektenführung half Chiles Diktator Pinochet bei der Folter von Regimegegnern. Rund einhundert von ihnen verschwanden in der deutschen Sekte, ermordet und verscharrt.

Doch statt einer Gedenkstätte zu Missbrauch, Folter und Mord werden hier weiterhin Apfelstrudel und Quark hergestellt, als sei nie etwas geschehen. Diese Betriebe hat Sektenchef Schäfer persönlich gründen lassen. Sie arbeiten bis heute unverändert fort.

Vom Auswärtigen Amt wurden sie jahrelang unterstützt – mit deutschen Steuergeldern. An die grausamen Sekten-Jahrzehnte dagegen erinnert fast nichts.

Sie sollte das eigentlich ändern: Elke Gryglewski, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen. Im Auftrag der Bundesregierung hatte sie mit allen Opfergruppen in Chile ein fertiges Konzept für einen Gedenkort erarbeitet. Doch vor wenigen Monaten wurde Gryglewski vom Auswärtigen Amt abgesetzt. Ihr Gedenkstättenkonzept – plötzlich wertlos.

Wertegeleitete Außenpolitik?

Es ist nicht das erste Mal, dass das Auswärtige Amt die Aufarbeitung zu behindern scheint.

Rückblick: Im Jahr 2018 besuchen Bundestagsabgeordnete um Michael Brand die Massengräber auf dem Sektengelände. Sie wollen die verschleppte Aufarbeitung in Gang bringen. Brand nimmt das Auswärtige Amt als Bremser wahr. Die Diplomaten versuchen auch, unsere Berichterstattung zu verhindern. Presse sei nicht erwünscht, heißt es im Vorfeld.

Beim Thema Colonia Dignidad hält sich die deutsche Diplomatin offenbar lieber bedeckt.

Eine ähnliche Erfahrung macht Ministerpräsident Bodo Ramelow im Oktober 2022. Als Bundesratspräsident ist er der erste hohe Repräsentant der Bundesrepublik, der das Sektengelände betritt. Ramelow besucht einen der früheren Folterkeller, trifft Angehörige der Opfer. Ein wichtiger Besuch mit Symbolkraft.

Ungewöhnlich ist, dass die deutsche Botschafterin in Chile Bundesratspräsident Ramelow nicht begleitet. Sie soll sogar von der Reise hierher abgeraten haben.
Ramelow fühlt sich von den deutschen Diplomaten nicht angemessen unterstützt – und beschwert sich darüber schriftlich bei der Ministeriumsspitze.

Bier und Tourismus – gleich neben Massengräbern. Wie lange noch?

Warum fehlt noch immer ein Gedenkort zu der folternden, deutschtümelnden Sekte mit ihrem pädophilen Anführer?

Es wäre an der Zeit, eines der düstersten Kapitel deutscher Außenpolitik ein für alle Mal aufzuarbeiten.

Autor: Matthias Ebert, ARD Rio de Janeiro

Stand: 16.04.2023 19:42 Uhr

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