Mo., 23.11.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
China: Studieren auf dem Mönchsberg
In einem entlegenen Tal des tibetischen Hochlandes liegt Larung Gar. Im Zentrum stehen die prächtigen Tempelhallen, an den Hängen – auf 4.000 Meter Höhe – kleben Tausende Hütten, die meisten sind aus Holz und Wellblech.
15 Jahre bis zur höchsten Prüfung
Dorjee, ein junger tibetischer Mönch aus der Region, lebt seit ein paar Monaten in Larung Gar. Er ist 20 Jahre alt, der zweitälteste von vier Geschwistern. Seine bescheidene Hütte ganz oben am Hang teilt er mit zwei weiteren Mönchen. Sein Tag ist vom Studium geprägt – 15 Jahre wird es dauern, bis er die höchste Prüfung ablegen kann. "Als kleiner Junge habe ich gesehen, wie glücklich die Mönche sind. Alle, die Buddhismus studiert haben, machten einen zufriedenen Eindruck. So bin ich auf die Idee gekommen, Mönch zu werden. Natürlich wusste ich damals gar nicht, was der Buddhismus wirklich bedeutet", erzählt Dorjee.
Ein berühmter Lama gründete die Schule 1980 nach Maos Kulturrevolution. Er hat das spirituelle Leben wieder aufgebaut – mit Erfolg und gegen Widerstände, denn tibetische Kultur wird in China bis heute immer wieder unterdrückt. Hier scheint Freiraum für buddhistisches Leben zu sein.
Eine riesige Gebetsmühle wird unermüdlich in Bewegung gehalten. Auf ihr stehen Mantras, religiöse Verse, die mit jeder Drehung ihre Wirkung entfalten. In Larung Gar finden alle Traditionen des tibetischen Buddhismus zusammen: "Unsere Priorität ist die Einheit, alle sollen sich gegenseitig achten, unsere internen Streitigkeiten müssen wir hier vergessen.", sagt Schulleiter Chögyal.
Hohe Ansprüche an die jungen Mönche
Für Dorjee beginnt der Unterricht morgens um acht Uhr. Auf dem Lehrplan stehen buddhistische Schriften, Logik, aber auch Astronomie, tibetische Medizin und Fremdsprachen. Jeder sucht sich die Kurse aus, die ihm gefallen. Über allem wacht das Portrait des Gründer-Lamas. Sein Zentrum, das er einst mit 20 Mönchen aufgebaut hat, zieht heute Zehntausende an. Gelehrt wird nicht nur Philosophie, sondern auch Menschlichkeit. Die Ansprüche, die die Lehrer an junge Mönche wie Dorjee stellen, sind hoch: "Wenn mich jemand geärgert hat, bin ich früher schnell wütend geworden. Ich war ziemlich jähzornig, aber seitdem ich mich mit dem Buddhismus beschäftige, ist das anders. Unser Lehrer hat uns beigebracht, allen gegenüber freundlich zu sein, auch wenn sie uns schlecht behandeln. So werden wir rücksichtsvoll und empfinden mehr Freude und Glück im ganzen Leben", erklärt Dorjee.
Zum Studium gehört auch die Debatte. Die Mönche sollen die Lehrsätze diskutieren, lernen wie man argumentiert, in der Diskussion die Wahrheit erkennen. Die Absolventen der Schule sind in der tibetischen Welt sehr anerkannt, das Niveau ist hoch. "Nach ihrem Examen gehen die Mönche und Nonnen in ihre Klöster zurück oder an ganz neue Orte und verbreiten dort buddhistische Lehren – ohne Eigennutz, mit voller Konzentration auf die Sache. Unsere Schule hat einen sehr guten Ruf, weil wir uns hier vor allem auf das Studium konzentrieren", sagt Schulleiter Chögyal. Jeder kann die Schule besuchen, es gibt keine Aufnahmeprüfung. Das Zentrum finanziert sich zu großen Teilen aus Spenden, erklärt der Lama.
Buddhismus – das wahre Glück
Seit die Mittelschicht der reichen Ostküste das Reisen entdeckt hat, kommen immer mehr und mehr chinesische Touristen ins tibetische Hinterland. Die Mönche tragen es mit Fassung und Gelassenheit: "Vielleicht haben die Menschen Geld, schöne Häuser, ein großes Auto – aber das ist nichts, es ist kein Glück. Sie suchen darin Glück, aber finden es nicht. Manche kommen dann hierher. Wenn sie sich dem Buddhismus widmen, dann ist ihr Gemüt nicht mehr schwer, dann erfahren sie das wahre Glück", so Dorjee.
Auf einer der Anhöhen von Larung Gar steht eine große Stupa – mit weiteren Gebetsmühlen. Mönche, Nonnen und Pilger aus allen tibetischen Gebieten Chinas umkreisen sie im Uhrzeigersinn. Die Motive für eine solche Reise sind sehr unterschiedlich: Die Hoffnung auf Glück, auf Heilung oder auf eine bessere Wiedergeburt. Niederwerfungen gehören dazu – damit sammeln die gläubigen tibetischen Buddhisten gutes Karma an. Jede einzelne wird gezählt.
Die Mehrheit der Bewohner von Larung Gar sind Nonnen. Gleichberechtigt sind sie nicht – im tibetischen Buddhismus gibt es historisch keine weibliche Linie – und so werden auch heute Nonnen nicht voll ordiniert. Männer und Frauen leben streng getrennt.
Chinesisches scheint nicht offen präsent zu sein
Mittags wird für alle gekocht, eine schlichte Mahlzeit. Die Mönche leben bescheiden. In den Tempelhallen ist es wenigstens etwas wärmer, oben in den Hütten beißt im Winter bitterkalter Frost. Aber immerhin werden die Mönche hier im Moment in Ruhe gelassen. Die chinesische Regierung scheint in Larung Gar zumindest nicht offen präsent zu sein. 2001 hatte die Polizei Teile des Ortes zerstört, viele Unterkünfte abgerissen. Heute ist die Schule beliebter denn je.
Politische Fragen haben wir nicht gestellt, Interviewpartner könnten in Gefahr geraten. Das Thema Tibet ist äußerst sensibel in China. Larung Gar wirkt faszinierend, ein Ort voller Ruhe. Hoffentlich täuscht das nicht.
Autorin: Ariane Reimers, ARD-Studio Peking
Stand: 10.07.2019 03:56 Uhr
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