Mo., 23.11.15 | 04:50 Uhr
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Sierra Leone: Leben nach dem Alptraum Ebola
Fußballspielen am Lumley Beach – das ist ein Sonntagsvergnügen in Freetown in Sierra Leone. Den ganzen Tag lang wird gespielt, trotz der Hitze. In Sierra Leone ist das nichts besonderes. Alfred Tarawallie ist jedes Wochenende hier, endlich wieder: "Während der Ebola-Epidemie war Strand verboten, jeder konnte nur zu Hause für sich trainieren. Wir sind es gewöhnt, uns hier auszutoben, das war eine harte Zeit für uns."
"Man muss sich selbst Mut machen"
Vor einem Jahr wusste der Student nicht, ob er jemals wieder Fußball spielen würde. Alfred hatte Ebola. In diesem Behandlungszentrum am Rande der Hauptstadt Freetown lag er drei Wochen lang. Nach der ersten Nacht war er von den acht Patienten in seinem Zimmer der einzige Überlebende. Unter den Toten war auch sein bester Freund. "Du sprichst mit jemandem und im nächsten Moment ist er oder sie tot. Es ist nicht einfach, da drin zu überleben, man muss sich selbst Mut machen, man betet. Und man darf vor allem nicht zu viel nachdenken, auch wenn man schlaflose Nächte hat“, erinnert sich Alfred Tarawallie.
Überlebende kämpfen mit Stigmatisierung
Alfred kam durch, seine Mutter und sein jüngerer Bruder starben. Er lebt jetzt mit seiner kleinen Schwester, der Stiefmutter und seinem Vater zusammen. Eine Hilfsorganisation hat den 23-Jährigen als Ratgeber für andere Genesene in seinem Stadtviertel angeheuert. Er begleitet sie zu Arztterminen. Viele Überlebende kämpfen mit Stigmatisierung. Alfred hat das selbst erlebt: "Als meine Schwester und ich entlassen wurden und nach Hause kamen, hat uns unsere Vermieterin noch am selben Abend rausgeworfen. Sie hatte Angst, wir könnten noch immer ansteckend sein."
Freetown war mit am schlimmsten betroffen von der tödlichen Epidemie. Im ganzen Land starben fast 4.000 Menschen, etwas mehr haben überlebt. Trotz des offiziellen Endes von Ebola in Sierra Leone sind Hände waschen und Fieber messen noch immer Alltag, auch an der Augenklinik, in der viele Überlebende kostenlos behandelt werden. "Meine Aufgabe ist es, mit ihnen zu reden und ihnen zu sagen, dass die Krankheit nicht das Ende der Welt bedeutet. Das Leben geht weiter, auch wenn es erstmal schwer ist", sagt Alfred Tarawallie.
Hawanatu Kabba hat ihre ganze Familie verloren, Mutter, Vater und vier Schwestern. Alfred ist ein wichtiger Halt in ihrem Leben geworden. Die junge Frau weiß nicht, wie sie ihr Studium jetzt finanzieren soll – und dann noch die körperlichen Beschwerden: „Meine Augen tun weh. Ich kann zwar klar sehen, aber sie jucken, wenn ich lese. Das Lernen fällt mir schwer“, erzählt sie.
"Wir verstehen Ebola noch nicht richtig"
Das marode Gesundheitssystem Sierra Leones war mit ein Grund, warum Ebola sich so ungehindert ausbreiten konnte. Das ist nun besser – internationale Hilfe hat dafür gesorgt, dass das Land mit Krankenwagen und medizinischen Geräten besser ausgestattet ist. "Die Überlebenden sind jetzt die große Herausforderung. Wir verstehen Ebola noch nicht richtig, es müssen dringend Studien über Langzeitfolgen gemacht werden. Wir wissen, dass das Virus neun Monate im Auge überleben kann, auch im männlichen Samen, im Gehirn und in anderen Organen. Es ist noch nicht vorbei, jedenfalls nicht für die Überlebenden“, erklärt Augenarzt Dr. Matthew Vandy. Ansteckend mögen sie nicht mehr sein, aber in der Ebola-Forschung gibt es viele Unbekannte. Hawanatu hat nur eine allergische Reaktion, andere Überlebende sind erblindet.
Vor genau einem Jahr ist Alfreds Bruder auf dem Kingtom-Friedhof beerdigt worden, seine Mutter ein paar Tage zuvor. Alfred war da noch gesund, die Bestattungen durfte er nur von weitem sehen. Heute traut er sich erstmals wieder her. Er sucht die Gräber. Friedhofsmitarbeiter sagen ihm schließlich, wo seine Mutter und sein Bruder liegen. "Es ist nicht leicht für mich hier zu sein, ich denke so sehr an sie, es ist wirklich nicht leicht."
Die Epidemie ist vorbei, die traumatischen Erinnerungen sind es noch lange nicht. Alfred bespricht mit Hawanatu einen Gerichtstermin, der in einigen Tagen stattfinden soll. Ein Nachbar hatte die junge Frau wegen ihrer Erkrankung beschimpft und mit einem Stein schwer am Kopf verletzt. "Das war schrecklich. Wir haben diese Krankheit doch nicht ins Land geholt, trotzdem werden wir dafür bestraft. Die Haltung mancher Leute verletzt mich“, sagt Hawanatu Kabba.
Zusammenhalt der Schicksalsgemeinschaft
Die Überlebenden treffen sich zum Gedenkmarsch zum Ende von Ebola. Hunderte sind gekommen. Hawanatu nicht, es ist zu belastend für sie. Alfred hilft der Zusammenhalt der Schicksalsgemeinschaft. Die meisten haben Angehörige verloren, ihre Jobs, ihre Wohnungen, viele leiden unter Feindseligkeit. Alfred hat Glück gehabt. Seine Freunde haben zu ihm gehalten und ihn unter strengen Vorsichtsmaßnahmen sogar im Krankenhaus besucht: „Klar, anfangs habe ich echt Schiss gehabt, aber ich habe mir gedacht, er braucht uns jetzt und schließlich ist es nicht seine Schuld, dass er krank geworden ist“, erzählt Ibrahim Calleh.
Die Freunde reden – wie so oft – über Fußball. "Oh Mann", sagt einer, "als das fünfte Tor fiel, da ist mir der Schweiß ausgebrochen. Ich dachte schon, ich habe Ebola."
"Solche Scherze machen mir nichts aus, das sind meine Freunde und die stehen zu mir in guten wie in schlechten Zeiten, das ist echt okay“, sagt Alfred Tarawallie.
Noch sind längst nicht alle in Sierra Leone so weit wie Alfred und seine Freunde. Aber wenigstens kann das Land nach dem Alptraum Ebola ein bisschen in die Zukunft schauen.
Autorin: Sabine Bohland, ARD-Studio Nairobi
Stand: 10.07.2019 03:56 Uhr
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