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Dänemark: Mit einer Quote im Wohngebiet gegen "Ghettobildung"

Helsingoer: Häuser im Stadtteil Noejsomhed Sydvej
Auch der Stadtteil Noejsomhed Sydvej in Helsingoer gehört zu den Brennpunkt-Wohngebieten  | Bild: IMAGO / Ritzau Scanpix


Den Begriff "Ghetto" meidet der Innenminister Kaare Dybvad Bek zwar, im Kurs bleibt die Regierung allerdings unbeirrt. Wenn zu viele Einwanderer in einem Gebiet wohnten, steige das Risiko, dass dort religiöse und kulturelle Parallelgesellschaften entstünden, so das Ministerium. Deshalb bestimmt ein Gesetz jetzt, dass ab 2030 höchstens 30% der Bewohner einen "nicht-westlichen" Ursprung haben dürfen. Wenn es mehr sind, greifen harte Maßnahmen, beispielsweise Abrisse und Umsiedlungen.

Eine Quote für "nicht-westliche" Einwohner

Gellerup im Westen der zweitgrößten dänischen Stadt Aarhus. Eines von 15 so genannten "Ghettos". So nennt Dänemarks Regierung Gellerup ganz offiziell. Weil hier mehr als 50 Prozent der Bewohner "nicht-westlich" sind. Hier lebt Mustafa Faour. Seine Eltern, einst nach Dänemark geflüchtet vor dem Krieg in Palästina. Hier in Gellerup wuchs Faour auf. Er mag sein Viertel, auch wenn der Ruf schlecht ist. Doch er wird mit seiner Frau und den drei Kindern ausziehen müssen. "Wir wohnen hier in dieser Wohnung seit 2007. Vor kurzem haben wird erfahren, dass der ganze Block hier umgebaut werden soll. Jetzt gibt es drei Wohnungen pro Etage, danach sollen es vier kleinere werden."

Mustafa Faour mit Frau auf Balkon
Mustafa Faour soll mit seiner Familie ausziehen | Bild: SWR

Der Umbau auch seiner Wohnung ist Teil eines großen staatlichen Planes für Gellerup. Der Anteil so genannter "nicht-westlicher" Bewohner in Dänemarks Problemvierteln soll verringert werden. 1.000 Wohnungen sollen in Gellerup verschwinden. Ganze Blocks wurden bereits abgerissen. Andere werden aufwendig saniert. Wieder einziehen dürfen Interessenten, die der Staat als unproblematisch ansieht. Dieser Wohnblock – bereits fertig. Schicke neue Briefkästen, nordisch klingende Namen "Jensen", "Kristensen" und der von Ester Engrob. Nach dem Tod ihres Mannes wollte die 72-jährige Dänin aus der jütländischen Provinz in die Stadt. Möglichst zentral, großzügig und hell. "Das hier war mal eine Fünf-Zimmer-Wohnung, Sie wurde halbiert. Und der Familie, die hier vorher gewohnt hat in der Fünf-Zimmer-Wohnung, ist gekündigt worden. Und ich weiß nicht, was aus ihnen geworden ist." Ester Engrob, offenbar eine Bewohnerin wie sie sich die dänische Regierung für Gellerup wünscht.

Resignation bei den Betroffenen

Die Verdrängung, der Umbau von Gellerup sind hier allgegenwärtig. Protestplakate, Widerstand, erkennbar. Aber nur vereinzelt. In anderen Ländern würde eine solche Politik als fremdenfeindlich gegeißelt. In Dänemark nicht. Kaum einer hier will mit uns vor der Kamera darüber sprechen. Und wenn, klingt es irgendwie nach Resignation. "Mir wird etwas anderes angeboten", sagt Bewohner Ahmed Daniel. "Wenn ich eine Wohnung in Ego oder in Viby bekomme, dann muss ich Ja sagen. Ich kann nicht Nein dazu sagen. Obwohl ich keine Lust habe, zwingen sie mich."

Fahrrad vor Häuserblock
Gellerup gilt für die dänische Regierung als Ghetto | Bild: SWR

Den großen Umbau von Gellerup – er leitet ihn. Das Ghetto-Gesetz der Regierung habe den Prozess weiter beschleunigt, sagt er. Die Aufwertung der Wohnungen unterstützt er, Ein Umbau ohne Verdrängung wäre ihm aber lieber. "Das hier ist ein sehr sehr großes Experiment", sagt Keld Laursen, Direktor von Braband Boligforening. "Die Erwartung und die Hoffnung sind und da glaube ich fest dran: dass wir einen Stadtteil haben, wo sowohl Platz für Leute ist, die ein geringeres Einkommen und vielleicht soziale Probleme haben. Ich hoffe, dass die in einem gewissen Umfang hier wohnen, bleiben können. Und dass gleichzeitig Leute zuziehen, die mehr Ressourcen haben. Und das hat dann einen positiven Integrations-Effekt, ist gut für die Nachbarschaft. Das "Ghetto"-Gesetz. Es schafft die Grundlage für eine ethnische Neuvermessung ganzer Stadtviertel. Das ist in Dänemark mehrheitsfähig. Die Angst, dass sich Parallelgesellschaften bilden ist groß, Angst vor dem Fremden."

Parallelgesellschaft oder friedliches Miteinander?

Menschen beim Einkaufen in Markthalle
80 Nationalitäten – aber wenig Probleme | Bild: SWR

Der Bazar von Gellerup. Noch einmal treffen wir Ester Engrob. Berührungsängste hat sie keine, seitdem sie hier wohnt. Freunde hätten sie vor Gellerup gewarnt. Nichts davon sei wahr geworden. "Irgendwie ist es ein internationales Dorf. Und wir gehen miteinander um, wie man es in einem normalen kleinen Dorf tut. Wir grüßen und sind nett. Ich erlebe keine Parallelgesellschaft. Wir sind 80 verschiedene Nationalitäten – wie kann das parallel sein? Ich habe viele Freunde hier: aus Somalia, Palästina, Türkei, Bulgarien, Rumänien, Island."

Zurück zu Mustafa Faour. Hier in der schicken Innenstadt von Aarhus ist er ein erfolgreicher Gastronom. Sechs Angestellte, zahlte 2019 Spitzensteuersatz. Und trotzdem trifft ihn das "Ghetto"-Gesetz. Weil er im falschen Viertel wohnt. "Hier in meiner Firma fühle ich mich als gleichwertiger Bürger akzeptiert, weil diejenigen, die hier reinkommen, wegen mir hierherkommen, mich wollen. Woanders wird man komisch behandelt, weil man nicht-westlicher Einwanderer ist." Mustafa wird Gellerup verlassen. Er hat ein bisschen Geld gespart, schaut jetzt nach einem Haus. Aber in Gellerup werden Menschen wie er fehlen. Er steht wie kaum ein anderer für eine gelungen Integration. Und an wem sollen sich Neuankömmlinge orientieren, wenn nicht an ihm?

Autor: Kristopher Sell, ARD-Studio Stockholm

Stand: 12.07.2021 10:18 Uhr

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