So., 11.07.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Portugal: Die Muschelsucher vom Tejo – Illegaler Beutezug aus Not
Sie stehen bis zu den Knien im Schlick. Bei Ebbe durchkämmen sie den Boden nach Muscheln und verdienen – mit Glück – rund 30 Euro am Tag. Besser als nichts. Denn in der Corona-Krise sind tausende Jobs weggefallen. Zum Beispiel bei Maria. Sie war Putzfrau, ihre Tochter arbeitete in einem Restaurant. Jetzt stehen beide im Schlamm und kratzen am Flussboden, auf der Suche nach der begehrten Ware – die Enkelin im Kinderwagen dabei.
Das Tejo-Delta ist ein Naturschutzgebiet, deshalb ist das Sammeln eigentlich illegal. Trotzdem boomt das Geschäft. Vor allem die Händler sind gut organisiert, sie exportieren die begehrten Muscheln tonnenweise nach Italien. Die Polizei weiß davon und doch ist es schwer, den Händlern und Zwischenhändlern beizukommen.
Muscheln sammeln für den Lebensunterhalt
Der Tejo Fluss bei Lissabon: bei Ebbe durchkämmen die Muschelsucher den Schlick nach Muscheln. Das ist illegal – aber die Not ist groß in Zeiten von Corona. Die meisten wollen nicht mit uns reden. "Ich will nicht gefilmt werden, und Vorsicht mit den Muschelsammlern. Sie könnten euch angreifen", sagt einer. Eine Frau spricht dann doch mit uns. "Vielleicht könnt ihr mir helfen so schnell wie möglich eine Wohnung zu finden", sagt die 52-jährige Maria da Natividade. "Ich lebe allein, von 500 Euro Witwenrente. Gestern habe ich sechseinhalb Kilo gesammelt, dreißig Euro bekommen, damit komme ich in etwa zurecht. Ich spreche für mich und für viele andere, die hier sammeln, auch für meine Tochter. Sie ist dort mit meinem Enkelkind am Arbeiten." Maria da Natividade hat wegen der Pandemie ihre Arbeit als Putzfrau verloren, ihre Tochter den Job als Kochhilfe in einem Restaurant. "Ich suche jetzt eine Wohnung", sagt Tochter Clara. "Ich lebe derzeit in der Wohnung des Vaters von meinem Partner zu viert mit unserem Kind. Mein Schwiegervater schläft im Wohnzimmer und hat uns sein Schlafzimmer überlassen.
Weite Teile des Deltas sind Naturschutzgebiet. Deshalb gibt es nur 200 Fanggenehmigungen. Wenn sie von der Polizei erwischt werden, müssen sie 200 Euro Strafe zahlen. Deswegen arbeiten die meisten illegalen Muschelsammler in dem 12 Kilometer breiten Wattgebiet, weit weg von den Augen der Polizei. Die Flut kommt, die Muschelsammler verlassen das gefährliche Terrain. Am Ufer warten bereits die Händler, einer ist Carlos. Er verdient gut an der Not der Menschen mit diesem illegalen Geschäft. "Wir werden wie Kriminelle behandelt. Wir klauen nicht, wir nehmen nur etwas von der Natur." Einer ruft: "Wir brauchen das hier, um unsere Kinder zu ernähren." Diese Leute arbeiten für Carlos, er hat vier Boote, mit denen er die Muschelsammler ins Delta schickt. Jeder zahlt vier Euro für die Fahrt. Carlos, der Händler ist angespannt. Das Geschäft ist nicht nur illegal. Es bewegt auch extrem viel Geld. Die japanischen Venusmuscheln sind für den Export nach Italien bestimmt. Nicht weit von hier, versteckt auf einem Parkplatz, kauft die Schwiegermutter von Carlos für den Familienbetrieb ein, u.a. die Muscheln von Maria. Dreißig Euro bekommt sie heute. "Gut", sagt Maria. "Seht ihr: ich habe schon den Tag verdient."
Polizei auf der Jagd nach illegalen Muschelsammlern
Nur bei Flut kann die Wasserschutzpolizei den Hafen für Razzien verlassen. Auf der Jagd nach denen, die von Booten aus Muscheln sammeln. Der Einsatzleiter ist auf Tipps angewiesen. Das Geschäft mit den Muscheln sei international organisiert und vernetzt, sagt er. "Außer den Händlern gibt es auf einer höheren Ebene die, die die Ware zentral einsammeln und den Transport ins Ausland organisieren", erklärt Freitas Carneiro, Einsatzleiter der Wasserschutzpolizei. "Es ist wie eine Pyramide." Vor unserer Kamera geht die Polizei nicht an die großen Fische ran. Kontrolle eines Hobbyfischers. "Sie müssen die Muscheln wieder zurück ins Wasser kippen", befiehlt Freitas Carneiro. "Es geht um den Schutz Ihrer und der öffentlichen Gesundheit. Die Muscheln sind mit Schwermetallen und Giftstoffen belastet. Es ist eine Gefahr für die Gesundheit aller Menschen. Eine Strafe bekommt er nicht.
Bei Carlos dem Händler im Lager. Bei Ihm hat die Polizei erst drei Tage zuvor 14 Tonnen Muscheln beschlagnahmt. Ware, die Carlos nach Italien exportieren wollte. 100.000 Euro, sein Verlust. "Ich gehe vor Gericht und habe die Hoffnung, dass man mir wenigstens einen Teil des Verlustes wiedererstattet", sagt Carlos. "Ich habe nichts Illegales getan." Die Polizei sieht das anders. Carlos und seine Frau reinigen die Muscheln von Schlamm. Der Verlust von 100.000 Euro scheint sie nicht zu sehr zu erschüttern. Trotz hoher Strafen, das illegale Geschäft lohnt sich für Carlos und seine Familie. Sie leben in dieser Villa.
Hier lebt Maria, sie will uns zeigen, wie sie wohnt, und damit Druck aufs Wohnungsamt machen. "Kommen Sie und schauen Sie es sich an. Ich kann nicht duschen, ich kann das Wasser nicht aufdrehen, weil überall Wasser tropft. Alles ist einsturzgefährdet. Ich kann hier nicht leben. Wir haben diese Wohnung besetzt, sie stand lange leer meine Tochter, das Kind und ich, wir konnten damals nicht auf der Straße bleiben. Gerade wegen der Pandemie." Für Maria und die anderen Muschelsammler geht es ums Überleben. Vom großen Geschäft mit ihrer Beute ahnen sie wenig. 15 Tonnen japanische Venusmuschen, holen sie jeden Tag aus dem Schlick des Tejo. Das meiste davon wird in andere europäische Länder exportiert.
Autorin: Lourdes Picareta
Stand: 12.07.2021 10:21 Uhr
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