So., 11.07.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Japan: Olympiateam aus dem Südsudan gestrandet
Sie könnten die heimlichen Stars der Olympischen Spiele werden: Vier Leichtathlet*innen und ihr Trainer aus dem Südsudan. Vor anderthalb Jahren kamen sie nach Japan, um sich auf das Sportspektakel vorzubereiten. Als die Corona-Pandemie ausbrach und die Spiele um ein Jahr verschoben wurden, blieben sie im Land. Weit ab der Heimat – einem der ärmsten Länder der Welt – trainieren sie seitdem. Und die Japaner unterstützen sie: mit Laufschuhen, einem Trainer, Unterkunft und sogar Sprach- und Kalligrafie-Kursen.
Langes Warten auf den Beginn der Olympischen Spiele
Startblöcke gibt es in ihrer Heimat nicht. Genauso wenig wie Stoppuhren, Hürden oder gar eine Tartanbahn. Michael Kutjang, Abraham Guem, Joseph Akoon und Lucia Moris stammen aus dem Südsudan, einem der ärmsten Länder der Welt. Sie gehören zu verschiedenen Volksgruppen, die sich im Bürgerkrieg bis aufs Blut bekämpft haben. Die Olympischen Spiele in Japan sollen sie und ihr Heimatland vereinen. "Ich möchte die Menschen in meiner Heimat glücklich machen", sagt Hürdenläufer Joseph Akoon. "Dafür trainiere ich jeden Tag hart. Wenn sie mich im Fernsehen sehen, sollen sie glücklich sein."
Die Universitätsstadt Maebashi hat sie aufgenommen, als die Spiele von einem Jahr abgesagt wurden, blieben sie aus Angst nicht wieder zurückzukommen, wegen Corona. Fast jeder Tag beginnt für Joseph Akoon und die anderen mit Japanisch-Unterricht. Seit mehr als 19 Monaten mittlerweile, so lange warten sie schon, dass es endlich losgeht. Ihre Gastgeber sind großzügig, Spenden finanzieren den Sprachunterricht. "Anfangs kannten sie nicht einmal das japanische Wort für Computer", berichtet die Japanisch-Lehrerin Jelica Araki. "Auch das Tippen auf der Tastatur fiel ihnen schwer. Jetzt können Sie Japanisch am Computer schreiben. Was für ein riesiger Fortschritt!"
Kaum Kontakt mit der Heimat
Zum Mittagessen geht es in die Kantine des Rathauses. Immer zur gleichen Uhrzeit. Das Ziehen der Essensmarken übernimmt sicherheitshalber ein Betreuer. So gut sind die Japanisch-Kenntnisse dann doch noch nicht. Anfangs haben Trainer Joseph Omirok und seine Schützlinge nur drei, vier Mal die Woche gegessen. So wie sie es von zu Hause gewohnt waren. Im Südsudan herrscht Hungersnot. Jetzt sind es drei Mahlzeiten pro Tag. Wie es sich für einen Sportler gehört. "Es gibt einen zuständigen Ernährungsberater, dem habe ich einen Speiseplan gegeben" erzählt Chefkoch Takeshi Onaya von der Rathaus-Kantine in Maebashi. "Aber er sagte, ich müsse da nicht so drauf achten. Anfangs haben sie keine Kohlenhydrate gegessen. Reis zum Beispiel. In letzter Zeit essen sie den aber. Das macht es ein bisschen leichter!"
Es ist Regenzeit in Japan. Der graue Himmel schlägt aufs Gemüt. Joseph Akoon ist in Gedanken oft bei seiner Familie und seinen Freunden. Selten klappt die Verbindung zu Ihnen. Das trägt auch nicht zur Stimmung bei. Seinem Trainer hat die Stadtverwaltung ein Handy gegeben. Einmal im Monat darf Joseph Omirok damit seine zwei Frauen und 17 Kinder anrufen. Für sie muss er sorgen, auch aus der Ferne. "Sie leiden sehr viel. Ich bete jeden Abend zu Gott, damit er ihnen hilft. Bis ich wieder nach Hause komme – von meiner Mission."
Große Unterstützung durch die Japaner
Heute führt sie ihre Mission zu einem Testwettkampf in das Leichtathletikstadion von Niigata, rund 300 Kilometer nördlich von Tokio. Vor allem auf Joseph Akoon ruhen die olympischen Hoffnungen des jüngsten Staats der Erde. Der Druck macht dem 18-jährigen zu schaffen. Vor dem Rennen ist er sehr nervös. Es fällt ihm schwer, sich zu konzentrieren und seine Leistung zu bringen. Das Zeug zum Publikumsliebling hat er trotzdem. Yoshiko Hamashima feuert besonders gerne Nicht-Japaner an. Ihre Enkelin sei schließlich mit einem Türken verheiratet. "Das ist fantastisch, dass die Stadt Maebashi ihnen geholfen hat. In ihrer Heimat konnten sie kaum trainieren und jetzt sind sie schneller als alle anderen. Auf geht’s, Südsudan!" Eine Übertreibung aus japanischer Höflichkeit. Joseph Akoon wird abgeschlagen Letzter.
Aufmunterung kommt von Kyoko Ishikawa. Die 51-jährige hat sich als Olympia-Superfan einen Namen gemacht. Seit 1992 reist sie zu allen Sommerspielen – um vor allem die zu unterstützten, für die Dabeisein alles ist. Sportlich mag die Mannschaft um Joseph Akoon chancenlos sein. Aber für sie ging es von Anfang an um mehr. "Wir sind für unser Land hiergeblieben", sagt Trainer Joseph Omirok. "Wir haben schließlich eine Mission. Wenn Du ein Soldat bist und in den Krieg ziehst, erwartest Du auch nicht, nach Hause zurückzukehren. Du stirbst dort, wo Du hingehst!" Zeigen, dass ein friedliches Miteinander im Südsudan möglich ist, das ist ihre Mission. Um nicht mehr und nicht weniger geht es ihm.
Autor: Torben Börgers, ARD-Studio Tokio
Stand: 12.07.2021 09:05 Uhr
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