So., 17.10.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Niederlande/Europa: Weihnachtsgeschenke in Gefahr
"Das ist einfach Chaos". 200 Schiffe wollen in den Rotterdamer Hafen einfahren und gelöscht werden – jeden Tag. Das schafft nicht einmal der größte Übersee-Hafen Europas. Nach der Corona-Delle zieht die Weltwirtschaft massiv an. Eigentlich eine gute Nachricht, die Container-Schifffahrt aber überfordert sie. Vor der Pandemie lag ein Schiff rund 25 Stunden im Hafen, jetzt sind es bis zu drei Tage, und das verschärft die Krise noch. Dazu kommt, die Preise für den Transport aus China haben sich in einem Jahr verzehnfacht. Das Weihnachtsgeschäft ist in Teilen gefährdet. Und die Logistik-Krise könnte noch bis zu einem Jahr anhalten, sagen Experten.
Schiffe stauen sich vor den Häfen
Er sieht überall gleich aus auf der Welt – der Container. Gerade sind so viele von ihm unterwegs, dass fast alle Häfen und Lieferwege geradezu verstopft sind. Ein Megaproblem, mit dem sie auch in Europas größtem Hafen, Rotterdam, kämpfen. Kaum jemand spürt das so direkt wie der Unternehmer Henri Honkoop. Honkoop arbeitet daran, dass die Container von den großen Schiffen auf die Binnenschiffe und dann ins Inland zum Konsumenten kommen. Und daran hakt es gerade gewaltig: "Für den Konsumenten bedeutet das, dass er länger auf sein Produkt warten muss. Letztendlich wird das dann teurer, es hat Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft. Der Konsument wird auch erleben, dass er viel länger auf ein Ersatzteil für seinen Rasenmäher warten muss."
Honkoop ist nun seit 25 Jahren in diesem Geschäft. Aber so eine Situation hat er noch nicht erlebt. Große Schiffe transportieren mittlerweile durchaus 20.000 Container. Kleinere Unternehmen wie Honkoop sorgen für den Weitertransport. Aber: Sie kommen nicht nach. Auf dem Bildschirm zeigt er uns wie voll es vor und im Hafen ist. Und das hat Folgen: "Die Wartezeiten im Hafen variieren gerade von 24 Stunden bis 163 Stunden in der Spitze. Die Kapazitäten liegen dann still und ist unbenutzt. Und die Nachfrage nach Schiffen und Transport werden nicht weniger, sondern eher mehr." Und diese Verzögerungen kosten ihn viele Tausend Euro am Tag, sagt Honkoop.
Die Containerpreise haben sich vervielfacht. "Voriges Jahr im August, September hatten wir einen Rückgang durch Corona. Und nun sehen wir eine enorme Zunahme an Ladungen, ein Strom, der nicht aufhört." Das Problem: Als die Nachfrage wieder anspringt blockiert das Containerschiff Evergiven sechs Tage den Suezkanal. Und: Coronabedingt schließt China im Sommer ganze Häfen. Erst diese massiven Störungen – dann der große Nachhofbedarf. Nun gibt es weltweit Staus vor den Häfen.
Sorgen ums Weihnachtsgeschäft
Die Europäische Transportgewerkschaft sieht noch andere, Gründe für die aktuellen Lieferkettenprobleme. Es seien immer mehr und immer größere Schiffe unterwegs. "Das beeinflusst natürlich, wie man mit diesen Mengen umgehen muss", sagt Livia Spera von der Europäischen Transportarbeitergewerkschaft. "Es gibt nicht genug Platz und Kapazitäten in den Häfen, um diese Mengen an Containern zu handhaben. Und es gibt natürlich eine Überlastung der Binnenschifffahrt, im Straßenverkehr und bei LKW."
In vielen Geschäften auch in Deutschland sieht man die ersten Lücken im Angebot. Längst sind nicht mehr alle Waren vorhanden. Lieferzeiten werden länger und auch für manches Weihnachtsspielzeug könnte es eng werden: "Das ist teilweise dramatisch. Wir machen uns Sorgen ums Weihnachtsgeschäft", so Harald Hepperle von Spielwaren-Kurtz in Stuttgart. "Natürlich ist es auch jetzt schade, den einen oder anderen Verkauf nicht tätigen zu können. Aber massiv würde das Problem an Weihnachten." Dass es mit dem Weihnachtsgeschäft schwierig wird bestätigt auch Henri Honkoop. Und dabei dürfte es nicht bleiben. Er glaubt: Die Lieferkettenprobleme werden bis Ende des nächsten Jahres andauern.
Autor: Michael Grytz, ARD-Studio Brüssel
Stand: 18.10.2021 12:29 Uhr
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