Mo., 07.05.18 | 04:40 Uhr
Das Erste
Nigeria: Rückkehr aus Europa
Singen und Beten, um zu sich selbst zu finden. Fast alle diese jungen Frauen haben Schreckliches erlebt, waren auf dem Weg nach Europa. Dann erreichten sie Libyen. Sarah Onyeisi erzählt: "Ich war ihre Sklavin. Sie haben mir Arbeit gegeben, und wenn ich müde wurde, haben sie mich geschlagen. Sie sagten mir: ‚Du musst weitermachen. Du machst weiter und bekommst nichts zu essen, vom Morgen bis tief in die Nacht, bis Du Deine Arbeit fertig hast."
Sie alle leben jetzt bei Schwester Bibiana. Sie leitet ein Heim für zurückgekehrte Mädchen. Nur Sarah traut sich, offen mit uns zu reden. Sie ist erst seit kurzem hier. Sarah schaffte es bis auf ein Boot nach Italien, doch dann wurden sie und andere festgenommen und kamen ins Gefängnis: "Das Gefängnis ist ein schlechter Ort. Dort gibt es kein Wasser oder das Wasser ist salzig. Kaum Essen und so viele Menschen, Männer und Frauen, Babys, schwangere Frauen. Viele Frauen waren krank. Einige Männer sind gestorben. So war es dort.”
Sklaverei statt eines Traumes
Sarah wurde von einem Mann freigekauft und musste für ihn und seine Familie dieses Geld abarbeiten – als Haushaltshilfe. Ihren Traum, Friseurin in Italien zu werden, gab sie schnell auf. Sie steckte in Libyen fest, kam nicht mehr weiter und wollte einfach nur noch zurück. In Benin City nahm Schwester Bibiana sie in ihr Schutzhaus auf. Die jungen Frauen sollen zusammen den Alltag neu lernen, Verantwortung für sich selbst übernehmen und sich eingestehen, warum sie sich auf den Weg gemacht haben und welche Rolle ihre Familien dabei spielten. Schwester Bibiana hilft ihnen dabei: "Hier in Benin City sind die Mädchen mehr oder weniger die Ernährer ihrer Familie. Alle Verantwortung liegt bei den Töchtern, denn sie nehmen sich die Situation ihrer Familie zu Herzen. Und deshalb gehen einige freiwillig. Es gibt Mädchen, die wollen aus Neugierde nach Europa, aber die meisten werden von ihren Müttern oder ihrer Familie zu Schleusern gebracht."
Menschenhandel – damit hat Benin City traurige Berühmtheit erlangt. Von den jungen Menschen die aus Nigeria nach Europa gebracht werden, oder sich selbst auf die Reise machen, kommen überproportional viele aus dieser Stadt im Süden Nigerias. Hier sei schon früh Warenhandel mit Italien getrieben worden, sagt Schwester Bibiana und dann entdeckte man die Prostitution: "Einige Händler kamen zurück und nahmen ihre Schwestern mit, ihre eigenen Schwestern. Und als sie gingen, stellten sie fest, dass sie mit Prostitution viel Geld verdienen konnten. In jeder Familie sagten die Mütter danach: ‚Hast Du dieses Mädchen gesehen? Sie hat ein Haus gebaut. Sie haben ein Auto.‘ Es wurde eine Tradition, an der jede Familie Teil haben will."
Prostitution als Tradition
Und diese Tradition gibt es immer noch. Ein Haus in einer besseren Gegend hat eine Sogwirkung auf alle anderen Familien. Glory hat dafür teuer bezahlt: "Auf der Straße, ich habe als Prostituierte auf der Straße gearbeitet. Ich dachte mir: Okay, das bin ich. Ich muss das machen, um mir eine Zukunft zu verdienen." Mit 17 Jahren wurde sie ein Opfer des Menschenhandels. Ihre eigene Tante entschied, sie nach Spanien zu schicken. Zehn Jahre arbeitete Glory dort als Prostituierte: "Ich habe meiner Mutter Geld geschickt, um dieses Haus zu bauen. Und an meine Tante. Sie hat mir gesagt, dass ich ihr Geld zahlen muss, dass es ihres ist." Dann ging es Glory immer schlechter, und sie bat die Organisation für Migration, sie zurück zu bringen.
Heute bekommt Glory Besuch von Schwester Bibiana, sie unterstützt die 29-Jährige. In ihrem Haus soll ein Friseursalon entstehen, zum Geld verdienen. Doch es gibt nur einen kargen Raum, ohne Tür, ohne Möbel. Längst sollte der Schreiner da gewesen sein. Schwester Bibiana treibt Glory an: "Ich habe Dir gesagt, ich will Einsatz sehen, ein Interesse von Dir!" Immer wieder muss Schwester Bibiana schimpfen. Glory kommt nicht vorwärts. Sie ist schwer traumatisiert. Sie versucht, sich mit ihrer Vergangenheit zu arrangieren: "Ich bin nicht wütend auf meine Tante, nicht auf meinen Vater. Ich kann zufrieden sein. Wenn ich nicht gegangen wäre, hätte ich dieses Haus nicht. Und wo könnte ich dann hingehen?"
Ihre Familie profitiert vom Haus, ihre Mutter, ihre Brüder. Aber das Verhältnis ist schwierig, als würden sie doch auf sie herab schauen. Auch deshalb ist für Glory ihr Friseursalon so wichtig.
Eine Perspektive für Arbeit
Eine Arbeit, die ausreichend Geld zum Leben bringt – das fehlt vielen Menschen hier in Benin City. Sie haben einfach keine Perspektive. Die Arbeitslosigkeit im Bundesstaat Edo ist hoch. Darum machen sie sich von hier auf nach Europa. Und wenn sie scheitern und zurückkehren, stehen sie wieder vor dem gleichen Problem. Deshalb versucht der Bundesstaat Perspektiven zu schaffen, zum Beispiel hier, in diesem Landwirtschaftsinstitut, mit einfachsten Mitteln: Tony Jimoh ist selbst in Libyen gewesen, wollte auch nach Europa, um Geld zu verdienen. Jetzt leitet er eine kleine lokale Hilfsorganisation, gemeinsam mit Freunden, die Rückkehrer ausbilden darf: "Wir möchten ihre Haltung verändern, ihnen Ideen und Wissen vermitteln, damit sie Zuhause eine Chance haben, zu bleiben und überleben zu können."
Und so sieht das aus: Training im Hühnerhalten. Denn der Aufwand ist gering, nur morgens und abends muss man sich um die Tiere kümmern. Finanziert wird diese Ausbildung im Moment von einer internationalen Hilfsorganisation. Tony Jimoh erklärt: "Das ist Landwirtschaft im kleinen Stil. Es braucht wenig Zeit und alle können es machen, alle Tausende Rückkehrer." Und so eine Basis für ihr neues Leben schaffen, die Geld bringt, und auf der sie aufbauen können.
Das geht auch mit der Schneckenzucht: 350 Rückkehrer hat Tony Jimoh schon hier trainiert – und Tausende würden noch warten. Friday ist einer von Ihnen. Er bringt sich ein, ist voll dabei. Dafür sollen er und die anderen Kursteilnehmer Geld vom Land bekommen. Als Anschubfinanzierung für die eigene Schneckenzucht: "Ich gehe zum Training, und dann können sie mir helfen, etwas aufzubauen. Dafür flehe ich jeden an, ich habe gar nichts." Friday, am nächsten Nachmittag. Das Geld vom Staat hat ihn noch nicht erreicht, sagt er, und er weiß auch nicht, wann es kommen soll. Und so bleibt ihm nichts anderes übrig, als weiterzumachen, wie seit seiner Rückkehr: in den Straßen von Benin City alten Plastikmüll sammeln, um irgendwie an Geld zu kommen und zu überleben.
Autorin: Caroline Hoffmann, ARD Nairobi
Stand: 03.08.2019 05:27 Uhr
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