So., 10.03.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Georgien: Kulturkampf um das junge Tiflis
Lippenstift nicht zu auffällig, das Piercing soll man gut sehen. Sali Gvichiani macht sich zu Recht für das Nachtleben von Tiflis: „Für mich ist Freiheit das Wichtigste. Wo du dich frei fühlst, da fühlst du dich auch wohl.“
Ihr Zimmer – fast schon ein Kunstwerk. Einiges erinnert an ihren Lieblingsclub. Die Tickets der ersten fünf Events hängen links unter dem Lichtschalter.
Tiflis hat sich zu einer neuen hippen Szene-Hauptstadt entwickelt. Eine alte Fabrik ist ein beliebter Treffpunkt geworden: Hostel, Workshop-Räume, Bars und Cafés – Tag und Nacht ist in der “Fabrika” etwas los.
Szene in Tiflis
Sali ist mit einer Freundin hier; in die Clubs geht man erst später. Sali redet gern über die neue Musikszene. Die ist klein, aber international bekannt: Georgische Techno-Clubs sind Szenekennern in ganz Europa ein Begriff: „Wir haben georgische DJs, die sehr gefragt sind im Ausland. Und darauf bin ich stolz. Die georgische Clubszene hat sich enorm entwickelt. Viele haben davon erfahren, auch vom Club Bassiani, den man jetzt einen der besten Clubs nennt.“
Das Bassiani, ein Club in den Katakomben unter dem Stadion. Filmen drinnen geht nur, solange noch keine Gäste da sind. Privatsphäre ist fast heilig. Besitzer Tato Getia hat den Club vor über vier Jahren mit gegründet: „Für mich ist Bassiani nicht nur ein Club, es ist eine ganze Generation junger Georgier. Eine Bewegung, die in diesem Land für Freiheit und eine bessere Zukunft kämpft.“
Eine Bewegung mit Gegnern
Diese Bewegung will einen liberaleren Lebensstil im eigentlich orthodoxen Georgien. Mehr Rechte für Schwule und Lesben, nicht mehr ganz so strenge Drogengesetze. Eine Razzia gegen Drogen im Mai letzten Jahres hat die Szene als Angriff auf genau diesen Lebensstil verstanden. Man fand Drogen, acht Leute wurden später verurteilt. Doch zunächst gingen damals Tausende Menschen auf die Straße - für das Bassiani.
Doch die liberale Bewegung ist nur eine Minderheit. Mehr als 80 Prozent der Georgier sind orthodoxe Christen. Die Kirche will lockerere Drogengesetze verhindern.
Konstantine Morgoshia sieht das auch so. Er engagiert sich politisch und erhebt schwere Vorwürfe an die liberale Clubszene: „Sie sind sehr aggressiv geworden, sie haben angefangen, unsere Kultur zu beschimpfen und haben auf für uns heiligen Orten getanzt, sie haben Polizisten angegriffen und am Ende haben sie einfach alle beschimpft.“
Für Konstantine Morgoshia ist das orthodoxe Christentum sehr wichtig. Jeden Sonntag versucht er in die Kirche zu gehen, fastet einmal im Jahr, lebt nach den, wie er sagt, religiösen Gesetzen. Doch diesen Lebensstil sieht er bedroht. Deshalb engagiert er sich in der Politik. Seine Bewegung „Georgischer Marsch“ will mit AfD und Pegida kooperieren, sie ist rechts außen.
Kurz nach Mitternacht. Sali Gvichiani ist auf dem Weg ins Bassiani. Ihren freien Lebensstil möchte sie bis in den nächsten Tag ungestört genießen. Sali ist oft eine der letzten auf der Tanzfläche.
Autor: Demian von Osten, ARD Moskau
Stand: 11.03.2019 09:12 Uhr
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