Mo., 28.05.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Griechenland: Aufstand gegen Flüchtlinge
Sie sind Griechen und sie sind frei. Das feiern sie jeden Sonntag, nehmen die Flagge ab, und sind stolz. Befreit von den Türken. Doch die Stimmung ist vor einigen Wochen umgeschlagen.
Der Reihe nach. Während der Zeremonie haben Flüchtlinge friedlich protestiert, für menschenwürdige Behandlung und die Weiterreise nach Athen.
Eskalierende Ausschreitungen in Mytilene
Und genau diese Situation ist dann eskaliert, in der Hauptstadt Mytilene: Vor allem rechtsextreme Griechen und Neonazis haben Flüchtlinge mit Flaschen und Steinen beworfen, dabei viele Mütter und ihre Kinder verletzt. Viele mussten im Krankenhaus behandelt werden, erzählt uns Thrasos Avraam, er ist Journalist auf Lesbos. "Wir haben herausgefunden, dass die Gruppe der "Patrioten Mytilenes", eine rechtsextreme Organisation, vergleichbar mit den Neonazis der Golden Dawn die Hooligans von Panathinaikos, AEK Athen und Olympiacos nach Mytilene bestellt haben. Ihr Ziel: Die Flüchtlinge zu verprügeln, nachdem die Flagge abgenommen wurde", erzählt Thrasos Avraam.
Thrasos wollte über die Ausschreitungen berichten und wurde selbst zum Opfer. "Ich habe in den vergangenen Jahren immer wieder über die Neonazis Szene berichtet und über all die Fakenews, die sie bezogen auf die Flüchtlinge verbreitet haben. Ich wurde auf diese Weise auch selbst zum Ziel. Erst nur verbal: Wir zünden Dich an, wir vermöbeln Dich, hau ab! haben sie gerufen, dann haben sie mich auch angegriffen"
Bewohner sind frustriert
Was ist los auf Lesbos? Auf der Insel in der Ägäis, deren Bewohner den Flüchtlingen in den vergangenen Jahren so sehr geholfen haben. Sie haben alles mit ihnen geteilt, obwohl sie selbst nicht viel hatten. In einer Taverne in Moria treffen wir den Ortvorsteher Nikos Trakellis. Er ist frustriert, kann den Hass der Menschen aber auch verstehen. "Natürlich haben wir sie gerne. Es gibt Kinder und Mütter. Seit 2015 bis heute sind circa 60 Tausend Menschen im Hotspot Moria gewesen. Mindestens 60 Tausend. Wenn nur 5% von ihnen kriminell sind, können sie sich vorstellen, was sie hierzulande angerichtet haben", sagt Nikos Trakellis, Ortsvorsteher Moria.
"Spontan dachte ich an schießen. Jemand meinte, ich solle Salz in die Flinte legen und ihnen auf den Hintern schießen. Aber ich habe mir das anders überlegt, wenn rauskommt, dass ich die Waffe in der Hand gehalten habe, gibt’s Ärger. Somit tat ich nichts und bis heute brechen sie ein, stehlen und ich lasse es zu, damit sie was zu essen haben und nicht noch mehr Schaden anrichten", erzählt Asimakis Kafiotis, Rentner.
Politik solle eingreifen
Nikos Trakellis nimmt uns mit – zeigt uns niedergerissene Zäune, entstandene Müllhalden und abgebrannte Olivenbäume. Die Flüchtlinge hätten das alles angerichtet. Er fragt sich, warum die Politik nicht eingreift? "Die Leute haben ihre Häuser zu Gefängnissen umgebaut. Um ihr Hab und Gut zu beschützen. Nach drei Einbrüchen hat der gute Mensch hier keine andere Wahl als sein Haus einzuzäunen", so Nikos Trakellis, Ortsvorsteher Moria.
Moria ist weltweit bekannt – Hotspot für 3.000 Menschen, mehr als 7.000 hausen dort – fast zehn Tausend auf der ganzen Insel. Die Flüchtlinge leben zum Teil seit Jahren hier – nichts passiert. Die Nerven liegen blank. So wie bei Nawid Azizi, seit 2016 ist er hier. Europa behandelt uns wie Tiere, sagt er.
"Hier ist einer gestorben aus Afghanistan, er hinterlässt sein drei-jähriges Kind, er ging immer wieder zum Arzt mit seinen Schmerzen und die Ärzte waren nicht im Camp oder sie haben ihm gesagt, dass alles schon bald wieder gut wird, er brauche Geduld. Sie haben nicht mal Medikamente für uns, nur Paracetamol", erzählt Nawid Azizi, Flüchtling aus Afghanistan.
Geduld aller ist am Ende
Und wenn noch mehr Flüchtlinge kommen und die Politik dennoch nichts macht, garantiert Nawid für nichts mehr. "Wenn die Verfahren weiterhin so lange dauern und diese Situation nicht besser wird und sie uns hier festhalten, dann wird es wieder zu Protesten kommen, so schlimm wie die der Einheimischen", sagt Nawid Azizi, Flüchtling aus Afghanistan. So ist die Geduld aller am Ende – die der Flüchtlinge und auch die der Einheimischen. Beide sehen sich als Opfer einer gescheiterten Flüchtlingspolitik. Sie beten für Veränderung und schimpfen auf Athen und Brüssel.
"Wir waren nie Rassisten! Nein! Wenn jemand an meine Tür klopft, gebe ich, was ich nur kann. Glauben Sie mir, ich habe schon viel gegeben. Aber nun, leider, sind wir das Gegenteil. Ich hoffe meine Stimme gelangt an die Ohren der Verantwortlichen, dass sie endlich mal zuhören, nicht wieder dann kommen, wenn Wahlen sind. Dann brauchen sie nicht kommen, sondern jetzt, wo es uns schlecht geht und wir leiden", findet Eleni Argiriou.
Alle leiden auf Lesbos – es ist ein Drama, das sich auf den ägäischen Inseln seit Jahren abspielt. Auf Veränderung warten alle vergeblich.
Autorin: Ellen Trapp/ARD Studio Rom
Stand: 03.08.2019 15:52 Uhr
Kommentare