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Großbritannien: Krawalle von Rechts

Großbritannien: Krawalle von Rechts | Bild: picture alliance/dpa/PA Wire | Owen Humphreys

Seit zehn Tagen erschüttern rechtsextreme Krawalle Großbritannien. Vor allem die muslimischen Gemeinden in England fühlen sich zunehmend bedroht. Nachdem mehr als 400 Randalierer festgenommen und in harten Schnellverfahren zu teilweise mehreren Jahren Gefängnis verurteilt wurden, hat sich die Lage Mitte der Woche beruhigt. Eine für Mittwochabend in bis zu 100 Städten angekündigte Krawallnacht fiel weitestgehend aus, stattdessen säumten 10.000 Gegendemonstranten in ganz England die Straßen. War es das jetzt? Und was steckt hinter diesen Protesten?

Gewalt gegen Flüchtlinge und Muslime

Demonstranten und brennendes Polizeiauto
Die Krawalle begannen Ende Juli in Southport  | Bild: SWR

Wut, Aggression und offene rechtsextreme Gewalt. Was sich bislang hauptsächlich im Netz abgespielt hatte, explodierte am letzten Wochenende plötzlich in der Realität, auf Englands Straßen. Ihr Feind: Asylunterkünfte und muslimische Viertel, vor allem in den sozial schwächsten Städten Englands, wie hier in Middlesbrough, wo ganze Straßenzüge angegriffen wurden, in denen die Randalierer Ausländer vermuteten. Zwar hat sich die Lage seit Mittwoch beruhigt, der Schock aber sitzt tief bei vielen hier: "Da ist noch das Blut von einem der Angreifer."

Wir treffen Najabat, den Sprecher der muslimischen Gemeinde, der seit Tagen überall vorbeischaut, checkt, ob alle ok sind: "Da standen 30 oder 40 Typen, ich bin auf sie zu – sie hatten Steine in der Hand. Hab' gesagt, da sind Kinder im Haus und meine Eltern, aber sie haben trotzdem damit geworfen mit solchen Brocken. Das waren Kids, das war furchtbar, und im ganzen Viertel liegen die Nerven jetzt blank. Warum? Wir sind geboren und leben hier. Das ist doch unser Zuhause."

Muslimische Männer und Sicherheitsdienst vor Moschee
Die Moschee braucht jetzt einen Sicherheitsdienst  | Bild: SWR

Seine und viele andere Frauen traut sich seitdem kaum mehr aus dem Haus, seit den Attacken sind die Straßen hier deutlich leerer als sonst, die Moschee zu der uns Najabat bringt, wird rund um die Uhr von Sicherheitsdiensten bewacht. "Das ist es, was sie wollen, uns ständig in Angst versetzen. Damit haben wir nicht gerechnet, und das Schlimmste ist, wir verstehen nicht warum, niemand hat hier irgendetwas falsch gemacht, oder irgendetwas falsches gesagt. Also warum uns angreifen?"

Anstifter der Unruhen: Tommy Robinson

Ja, warum traf diese Welle der Gewalt vor allem sie? Eine zentrale Figur, die die Krawalle aus dem Netz heraus mit initiiert hat: Der mehrfach verurteilte Rechtsradikale Tommy Robinson. Elon Musk holte ihn im November zurück auf X, wo Robinson vorher gesperrt war. Hier rief er zu den Krawallen auf. Von einer Hotel-Liege in Zypern aus. Mit fast einer Million Follower gewinnt er auf X derzeit zunehmend an Einfluss.

Ivan Humble
Ivan Humble, Aussteiger aus der rechtsextremen Szene | Bild: SWR

Wir fahren nach Lowestoft, um einen Mann zu treffen, der mit Robinson lange eng zusammengearbeitet hat. Ivan Humble. Vor einigen Jahren ist er ausgestiegen, nachdem er sich mit Manwar, einem Muslim anfreundete und den Hass auf einmal als sinnlos erkannte. Hat die Szene sich seitdem verändert? "Die Gruppen sind heute anders, aber die Wut und Frustration, die sind noch da, sogar extremer geworden. Weil sie nicht gehört werden –nur weil Du eine andere Meinung als die Mehrheit hast, wirst du weggeschoben. Manwar, ausgerechnet der Muslim hat mir zugehört, er war der einzige, der mich gefragt hat, was ist eigentlich los mit Dir, warum sagst du solche Sachen. Nicht eine weiße Person hat das jemals gemacht."

Verantwortung der Tories für die Ausschreitungen

Für Ivan sind es dennoch zu viele, die immer noch versuchen per Boot auf die Insel zu kommen. Dass es im letzten Jahr nur 30.000 waren, also keine wirklich große Zahl, akzeptiert er als Fakt. Müsste das dann einfach besser erklärt werden? Das wird gar nichts helfen, sagt er. "Es kommt ja noch dazu, dass sie uns ja versprochen haben die Boote zu stoppen. Stattdessen haben sie Millionen mit dem Ruanda Abschiebe-Plan verschwendet. Und jetzt kam Keir Starmer, hat das einfach gecancelt, und das Geld ist weg."

Plakat mit Aufschrift "Stop the Boats"
"Stop the Boats" war auch der Slogan der Konservativen Partei unter Rishi Sunak | Bild: SWR

"Stop the Boats" – das war einer ihrer Slogans in den letzten Tagen, der Slogan, mit dem Rishi Sunak den Wahlkampf gewinnen wollte, obwohl er genau wusste, dass sein Ruanda-Plan zum Scheitern verurteilt sein würde. Der Neue in der Downing Street, Keir Starmer cancelte das sofort u zu Recht als Gimmick, hat aber bislang auch keine Alternative, und muss so jetzt damit kämpfen, dass die bisherige konservative Mitte mit diesem Slogan den Boden für die jüngsten Ausschreitungen bereitet hat. Lord Tariq Ahmad, selbst Tory-Mitglied im House of Lords fürchtet, dass seine Partei diesen Kurs weiter führen wird.

"Wir müssen als Tories damit aufhören, uns bei den Rechtsradikalen anzubiedern und deren extremistische Parolen zu übernehmen. Stattdessen müssen wir die Mitte und auch Menschen wie mich überzeugen, dass wir unseren alten konservativen Prinzipien treu bleiben." Denn nur so könne man auf Dauer dieser Gewalt Einhalt gebieten. Eine Aufgabe, die Jahre dauern dürfte. Denn auch wenn es in den letzten Tagen ruhig geblieben ist in den zerstörten Städten Englands: Hinter den notdürftig reparierten Kulissen gärt es weiter.

Autorin: Annette Dittert, ARD-Studio London

Stand: 15.08.2024 10:58 Uhr

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