So., 11.08.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
USA: Watergate – heute nicht mehr möglich?
50 Jahre nach Watergate steht mit Donald Trump ein Expräsident vor Gericht. Damals 1974 erließ der Supreme Court, so der Historiker Ken Hughes, eine historische Entscheidung: "Er ordnete an, dass Richard Nixon seine Tonbänder aus dem Weißen Haus dem Watergate-Sonderstaatsanwalt übergeben muss. Die Entscheidung war sehr wichtig, weil Nixon für die Tonbänder absolute Immunität beansprucht hatte. Der Oberste Gerichtshof, einschließlich der fünf Richter, die Nixon zuvor persönlich ernannt hatte, sagte einstimmig, dass der Präsident der Vereinigten Staaten nicht über dem Gesetz stehe." Es geht, wie vor 50 Jahren bei Nixon um die Frage: Wieviel Immunität hat ein Präsident? 50 Jahre danach besucht Dirk Lipski die historischen Orte und zeigt, wie stark sich das politische System der USA seitdem verändert hat.
Ein Einbruch verändert das politische System
Hier hat alles angefangen – im Zimmer 214 des Watergate-Hotels in Washington D.C. Heute heißt es "scandal room". Was sich in diesem Raum abspielte, beschäftigt die Öffentlichkeit seit über 50 Jahren. Und weist Parallelen auf bis zu Donald Trump. Hier waren Wanzen, Nachschlüssel und ein Fernrohr deponiert, von hier sollte der Einbruch überwacht werden. Wir treffen Ken Hughes, Historiker vom Miller Center of Public Affairs. Er beschäftigt sich seit Jahren mit dem Skandal. "Watergate ist so etwas wie der Prototyp aller modernen politischen Skandale. Mit ihm werden alle anderen verglichen. Er beherrschte die amerikanische Politik für Jahre und schien lange mysteriös zu sein. Als der Watergate-Einbruch zum ersten Mal bekannt wurde, führte er zum Rücktritt eines Präsidenten der Vereinigten Staaten. Zu dieser Zeit war Nixon so ziemlich die mächtigste Person der Welt."
Was war passiert? Es ist Juni 1972 – wenige Monate bis zur US-Präsidentschaftswahl. Der Republikaner Richard Nixon stellt sich zu Wiederwahl. Sein Herausforderer ist Georg McGovern von den Demokraten. Deren Partei hat im Watergate-Gebäude ihr Hauptquartier eingerichtet. In einem Bericht von damals heißt es: "Am 17.Juni 1972 stehen diese fünf Gentlemen vor dem Watergate-Hotel. Ausgerüstet mit Nachschlüsseln, Fotoapparaten und elektronischen Abhörgeräten. Außer Tränengaspistolen in Form von Füllfedernhaltern tragen sie keine Waffen. Doch dies ist kein James-Bond-Film, sondern ein Kabinettstück, das zum größten Skandal in Amerika wurde."
Die Fünf – darunter der Sicherheitschef vom Komitee zur Wiederwahl Nixons, brechen in die Räume der Demokraten ein. Zunächst keine große Sache, eher ein Lokalereignis. Doch die Washington Post bleibt hartnäckig an dem Fall. Die Zeitungsjournalisten Carl Bernstein und Bob Woodward recherchieren die Hintergründe, bekommen dabei Hilfe von einer jahrelang anonymen Quelle. Was sie zu Tage fördern, sorgt Stück für Stück für ein politisches Beben in der US-amerikanischen Hauptstadt. Der Einbruch hat das Ziel, die Demokraten auszuspionieren. Und die Spuren führen bis ins Oval Office und die Vorzimmer des Weißen Hauses. Hier sitzen die Auftraggeber. "Nixon hat lange Zeit versucht, das amerikanische Volk davon zu überzeugen, dass er nichts von dem wusste, was in seinem Namen geschah, und dass er nichts damit zu tun gehabt hätte, selbst wenn er es gewusst hätte", so der Historiker Ken Hughes.
1974: Der Präsident steht nicht über dem Gesetz
Präsident Nixon versucht, den Vorfall herunterzuspielen – und zu vertuschen. Erst bei den umfangreichen Untersuchungen kommt heraus: Der Präsident ließ in seinem Büro heimlich alle Gespräche aufzeichnen. Sie könnten Aufschluss darüber geben, was Nixon wusste und was er tat – doch er verweigert die Herausgabe. Diese Tonbandverweigerung löst die größte Verfassungskrise aus, die die Vereinigten Staaten je durchstehen mussten. Sie stellt die Frage: Steht der Präsident über dem Gesetz? "1974 erließ der Supreme Court eine historische Entscheidung", erklärt Ken Hughes. "Er ordnete an, dass Richard Nixon seine Tonbänder aus dem Weißen Haus dem Watergate-Sonderstaatsanwalt übergeben muss. Die Entscheidung war sehr wichtig, weil Nixon für die Tonbänder absolute Immunität beansprucht hatte. Der Oberste Gerichtshof, einschließlich der fünf Richter, die Nixon zuvor persönlich ernannt hatte, sagte einstimmig, dass der Präsident der Vereinigten Staaten nicht über dem Gesetz stehe."
Zudem droht Nixon ein Amtsenthebungsverfahren, ein Impeachment. Am 09. August 1974, vor 50 Jahren, zieht er die Reißleine: Zum ersten und einzigen Mal tritt ein US-amerikanischer Präsident im Amt zurück. In dem Schreiben an den zuständigen Außenminister Kissinger heißt es: "Sehr geehrter Herr Minister, ich trete hiermit vom Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten zurück. Hochachtungsvoll Richard Nixon." Und in einem Bericht der ARD-Tagesschau vom 09.08.1974 kommt Nixon wie folgt zu Wort: "Ich bedauere den Schaden, der vielleicht angerichtet wurde, zutiefst. Falls einige meiner Beurteilungen falsch waren – und einige waren es – habe ich trotzdem geglaubt, dass sie im Interesse der Nation seien."
2024: Das Oberste Gericht entscheidet für den Präsidenten
Kurze Zeit später wird er von seinem Nachfolger Ford komplett begnadigt – eine Strafverfolgung bleibt aus. Fünfzig Jahre später steht mit Donald Trump ein Ex-Präsident vor dem Obersten Gericht. Es geht um dieselbe Frage: Wieviel Immunität hat ein Präsident? Diesmal entscheidet der Supreme Court aber anders: Ein Präsident ist zumindest bei offiziellen Amtshandlungen vor Strafverfolgung geschützt, stellen die Richter fest. Zahlreiche Demonstranten protestieren am Tag der Verkündung Anfang Juli dagegen.
"Die Entscheidung gewährt dem Präsidenten weitgehende Immunität vor Strafverfolgung bei der Begehung von Straftaten – unter Ausnutzung der gesamten Macht, die er im Amt hat", sagt Ken Hughes. "Verbrechen, für die Nixon im Jahr 1974 angeklagt, vor Gericht gestellt und verurteilt worden wäre – damit würde ab 2024 jeder Präsident einfach davonkommen." Zimmer 214 hält die Erinnerungen an die Verbrechen wach. Ein Zitat von Richard Nixon an der Wand: "Wenn ein Präsident etwas tut, kann es ja nicht illegal sein." Ein Satz, der auch von Donald Trump stammen könnte. Nixon kam damals nicht damit durch. Die Enthüllungen im Watergate-Skandal, das Amtsenthebungsverfahren und der Supreme Court zwangen ihn vor 50 Jahren zum Rücktritt. Die Macht kommender Präsidenten dagegen ist deutlich größer geworden.
Autor: Dirk Lipski, ARD-Studio Washington
Stand: 15.08.2024 12:02 Uhr
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