SENDETERMIN So., 11.08.24 | 18:30 Uhr | Das Erste

Norwegen/Schweden: "Coolcation" – Urlaub im kühlen Norden

Norwegen/Schweden: "Coolcation" – Urlaub im kühlen Norden | Bild: SWR

Touristenführer Steinar Bruheim am norwegischen Gletscher Nigardsbreen beobachtet einen Trend: Seine Touren buchten immer mehr „Klimatouristen“, wie er sie nennt. Also Urlauber, die in den Sommermonaten vor der möglichen Gluthitze in Mittel- und Südeuropa fliehen und sich für entspannte Wochen im gemäßigten Sommer Skandinaviens entscheiden. Diese Wahrnehmung am Nigardsbreen deckt sich mit einer Studie der EU, die Destinationen in Skandinavien einen deutlichen Tourismus-Zuwachs prognostiziert. Und so werben schwedische und norwegische Reiseziele diese Saison vermehrt mit "Coolcations": Baden in Gletscherseen, Höhlenwanderungen, kühle Campingplätze an der Küste. Wir begleiten eine Gletschertour am beeindruckenden Nigardsbreen und besuchen deutsche und niederländische Urlauber auf einem idyllischen Campingplatz in Mittelschweden, um das Phänomen der "Coolcations" in Skandinavien vorzustellen.

Flucht vor der Hitze Südeuropas

Der Ort ist mystisch. Und gewaltig. Nigardsbreen in Norwegen, Teil des größten Gletscherverbundes auf europäischem Festland. Magisch seine Anziehungskraft. Steinar Bruheim führt seit 40 Jahren Besucher auf den Gletscher. Seit drei oder vier Jahren werden es im Sommer immer mehr. Eine neue Gruppe von Urlaubern, die seine Touren buchen. "Wir nennen sie Klimatouristen. Weil sie, sagen wir mal, vor der Hitze Südeuropas fliehen. Deshalb kommen sie im Sommer zu uns nach Skandinavien. Obwohl wir hier vielleicht nur 15 Grad haben und ganz schön viel Regen." Hanneke Bechthum und Karin Smit sind solche "Klimatouristen". Die beiden Freundinnen aus den Niederlanden sind mit ihren Söhnen sind auf Rundreise durch Dänemark und Norwegen. "Ich denke, die meisten Leute wollen immer noch in die Sonne", sagt Hanneke Bechthum. "Aber Spanien, Italien – um diese Jahreszeit? Das ist in den letzten Jahren immer heißer geworden. Ich halte es dort ehrlich gesagt nicht mehr aus."

Nigardsbreen-Gletscher in Norwegen
Auch dem Nigardsbreen macht der Klimawandel zu schaffen | Bild: SWR

Vier bis fünf Grad Wassertemperatur. In der Luft kühlende 15 Grad. Heute ist es trocken und langsam kommt sogar die Sonne raus. Aber auch hier ist es wärmer geworden. Noch vor 50 Jahren zog sich das Eis bis fast hier runter an den See. Doch der Gletscher schmilzt. Allein 100 Meter im Sommer 2018. Hier beginnt der Einstieg ins Eis. Wer mitmachen will, braucht Eispickel und Steigeisen und muss fit sein. "Horror! Jetzt da rauf!", sagt Karin Smit. "Ich kann Höhe eigentlich überhaupt nicht ab. Deshalb kriege ich ehrlich gesagt gerade ganz schön Angst… Naja, wenn das alle hier hinkriegen, werde ich es auch irgendwie schaffen."

Das Eis bewegt sich. Deshalb gehen sie in Kleingruppen, mit Seilen gesichert. Spalten tun sich auf. Der Gletscher ist nicht ungefährlich. Aber atemberaubend. 12.000 Besucher in den Sommermonaten, und es werden seit Jahren mehr. "Wir haben in gewisser Weise einen Peak erreicht", erklärt Steinar Bruheim. "Wenn noch mehr Touristen kommen, zur selben Zeit hier an diesen Ort, sollten wir versuchen, sie stärker über das Jahr zu verteilen." Die Sommer-Saison ist kurz: für den Nigardsbreen schon jetzt ein Stresstest.

Camping bei angenehmen 20 Grad

Rund 500 km Richtung Osten. Knapp 20 Grad Temperatur. In der Luft – und im Wasser. Auch das ist Skandinavien. Der Campingplatz Säter in Mittelschweden. Die Struwes aus Brandenburg machen hier Station auf ihrer Skandinavien-Tour. Früher waren beide häufiger am Mittelmeer unterwegs. Doch das Thema ist für sich sie durch. "Letzte Woche habe ich gehört, dass sie in Griechenland die Attraktionen geschlossen haben", erzählt Janek Struwe, "weil da die Leute reihenweise umgekippt sind. Die Akropolis und so. Tja… muss ich nicht haben." Und Karina Struwe meint: "Abartig warm. Man kann nichts machen, ständig Kopfbedeckung tragen, sich ständig eincremen. Das macht einfach keinen Spaß."

Campingwagen auf Camping-Platz
Während die Akropolis wegen Hitze geschlossen ist....  | Bild: SWR

Die See-Sauna des Campingplatzes wird gerade vom Chef erweitert. Eine Investition für seine neuen Gäste. 20 Prozent Steigerung zum Vorjahr. "Wir fragen sie: Sind Sie zum ersten Mal in Schweden? Viele sagen: früher sind wir schon in den Süden gereist. Doch jetzt ist es heiß ist oder es gibt Überschwemmungen. Da entscheiden sich immer mehr Camper für Skandinavien." Profitiert der Tourismus in Skandinavien also vom Klimawandel? Die Prognose einer EU-Studie ist eindeutig: ja. Je wärmer es wird, desto mehr Urlauber kommen künftig in kühlere Regionen Europas.

Coolcation: Immer mehr Klima-Touristen

Schweden hat bereits begonnen, genau das zu vermarkten. Unter dem Schlagwort: "Coolcation" sollen Hitze-Gestresste ins Land gelockt werden. "Wir haben einen ziemlich großen Interessensanstieg festgestellt, als wir anfingen, über "Coolcation" zu informieren", sagt Susanne Andersson vom Tourismusverband. "Wir haben auf unseren Websites hervorgehoben, was man in Schweden erleben kann, wenn man auf der Suche nach einem kühleren Urlaub ist. Und das hat dazu geführt, dass wir bei internationalen Suchanfragen zu Coolcation inzwischen sehr weit oben stehen. Schweden ist dort heute die Nummer eins." Diese Entwicklung gefällt in Schweden nicht allen. Denn schon heute gibt es Regionen, die in den Sommermonaten unter Massentourismus ächzen. "Natürlich haben wir einige Orte, die zu bestimmten Zeiten des Sommers sehr, sehr voll werden können. Wir müssen versuchen, dass nicht alle zum gleichen Zeitpunkt kommen."

Wandergruppe auf Gletscher
Die Zahl der Touristen nimmt hier seit einiger Zeit zu  | Bild: SWR

Nigardsbreen in Norwegen ist auch so ein Beispiel. Im Sommer herrscht inzwischen Hochbetrieb. Die Gruppe hat ihr Ziel erreicht. Kleine Stärkung an der Wetterstation. "Ich kann das hier oben gar nicht in Worte fassen" staunt Hanneke Bechthum. "Was für ein Erlebnis. Die Landschaft und das Eis. Wie blau es ist." Noch, denn schon längst ist es auch hier nicht mehr kalt genug für den Gletscher. "Ich bin ja hier mit meinen Kindern. Irgendwann werde ich nicht mehr sein. Was werde ich ihnen hinterlassen? Darüber habe ich heute schon nachgedacht." Auf dem Nigardsbreen wird deutlich, wie stark sich die Welt klimatisch schon jetzt verändert und damit auch die Urlaubsregionen. Den Urlaub nehmen lassen will sich trotzdem niemand. Das macht dem Gletscher zu schaffen: neben dem Klimawandel jetzt auch die "Klima-Touristen".

Autor: Kristopher Sell, ARD Stockholm

Hierzu auch der Weltspiegel Podcast: "Urlaub bei 40 Grad: wohin reisen, wenn es zu heiß wird?" Gesprächspartner: Kristopher Sell (ARD Stockholm), Milena Pieper (ARD Madrid), Niklas Völkening, Humangeograph Uni Augsburg, Redaktion: Steffi Fetz, Moderation: Joana Jäschke

Stand: 11.08.2024 21:53 Uhr

0 Bewertungen
Kommentare
Bewerten

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Bitte beachten: Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern werden innerhalb von 24 Stunden durch die Redaktion freigeschaltet. Es dürfen keine externen Links, Adressen oder Telefonnummern veröffentlicht werden. Bitte vermeiden Sie aus Datenschutzgründen, Ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Fragen zu den Inhalten der Sendung, zur Mediathek oder Wiederholungsterminen richten Sie bitte direkt über das Kontaktformular an die ARD-Zuschauerredaktion: https://hilfe.ard.de/kontakt/. Vielen Dank!

*
*

* Pflichtfeld (bitte geben Sie aus Datenschutzgründen hier nicht Ihre Mailadresse oder Ähnliches ein)

Kommentar abschicken

Ihr Kommentar konnte aus technischen Gründen leider nicht entgegengenommen werden

Kommentar erfolgreich abgegeben. Dieser wird so bald wie möglich geprüft und danach veröffentlicht. Es gelten die Nutzungsbedingungen von DasErste.de.

Sendetermin

So., 11.08.24 | 18:30 Uhr
Das Erste

Produktion

Südwestrundfunk
für
DasErste