Mo., 16.04.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Lesotho: Eine Schule für Hirtenjungen
Wenn er pfeift, dann folgt ihm die Herde. Jeden Tag ist Jeremani mit den Kühen im Hochland von Lesotho unterwegs, Kilometerweit, auf der Suche nach Gras und Wasser für die Tiere. Bald wird er 14 – mehr als sein halbes Leben arbeitet er schon als Hirte: "Jeden Tag bin ich hier draußen und weide die Tiere. Ich muss ja sicherstellen, dass sie genug zu Fressen finden. Ich mag die Arbeit. Es ist ja auch die einzige Art, hier oben zu überleben."
Die Kühe gehören einer Bauersfamilie im Ort Semonkong. Jeremani arbeitet für sie. Dafür bekommt er am Jahresende eine Kuh und ein Dach über dem Kopf. Für die Schule hat er keine Zeit. Seine Eltern leben nicht mehr. Jeremani ist auf sich selbst gestellt: "Das hier ist nicht mein erster Job. Aber hier werde ich zum ersten Mal gut behandelt. Der letzte Bauer, für den ich gearbeitet habe, hat mich zum Beispiel einfach nicht bezahlt. Ich bin dankbar, dass es hier besser läuft."
Arbeit statt Schule
In Lesotho arbeitet etwa jeder dritte Junge im schulpflichtigen Alter als Hirte – Vollzeit, oft Kilometerweit entfernt von der Familie und ohne eine Chance zur Schule zu gehen. Die meisten von ihnen sind Analphabeten – und bleiben es ein Leben lang. Julius Majoro kennt das Problem. Er musste die Schule nach der zweiten Klasse abbrechen, um als Hirte Geld zu verdienen für seine Mutter und die zwei Schwestern. Das ist oft so in Lesotho, meint er. Aber es war nicht das Leben, von dem er geträumt hatte: "Ich hatte nie die Absicht als Hirte zu arbeiten. Es waren die Umstände. Wir haben unterhalb der Armutsgrenze gelebt, da hatte ich keine andere Wahl. Der Bauer, für den ich gearbeitet habe, hat mich mies behandelt, wie einen Hund; Essen gab es keines. Wir waren für ihn wie Sklaven."
Wenn man keine Bildung hat, merkt Julius schnell, dann ist es schwer, für seine eigenen Rechte zu kämpfen. Mit seinem Hirtenlohn sorgt er dafür, dass seine Schwestern zur Schule gehen können und auch deren Kinder. Über Jahre spart Julius kleine Teile seines Lohns so lange, bis er schließlich selbst einen Schulabschluss machen kann. Sein Wissen teilt er jetzt, jeden Abend – mit anderen Hirten von Semonkong. Wenn sie die Tiere versorgt haben, dann kommen sie zu ihm, in seine Hirtenschule. Jeremani ist einer von Julius Schülern.
Sie lernen Lesen, Schreiben und Rechnen. Julius unterrichtet sie ehrenamtlich, weil er daran glaubt, dass diese Grundkenntnisse das Leben der Hirten verändern können, wie er sehr gut erklären kann: "Am Ende des Tages erzählt ihnen der Bauer sonst: 'Du hast ja Tiere verloren. Du bekommst keinen Lohn.' Und die Hirten wissen noch nicht mal, ob das stimmt oder nicht. Das versuche ich hier um jeden Preis zu ändern."
Schule und Lebenshilfe
Auch Gesundheitskunde steht auf dem Programm: Wie schütze ich mich vor Aids? Eine wichtige Frage in dem Land mit der zweithöchsten HIV-Rate weltweit. Außerdem gibt es hin und wieder ein warmes Essen – immer dann, wenn genug Spenden da sind – für viele Hirten das einzige am Tag. Im Mittelpunkt steht der soziale Gedanke, findet Julius Majoro: "Die Arbeit als Hirte ist einsam. Du kümmerst dich um die Tiere und redest nie mit anderen Menschen. Das passiert nur hier in der Hirtenschule. Hier lernen sie mit anderen zu kommunizieren. Hier lernen sie alles."
Dafür kommen sie von weit her: Jeremani läuft jeden Abend knapp zehn Kilometer, um die Schulbank zu drücken: "Wenn ich gut Lesen und Schreiben kann, dann will ich auch unterrichten. Ich will das, was ich kann, einmal weitergeben."
Doch der Weg dahin ist noch weit. Am nächsten Morgen heißt es wieder: zurück in die Einsamkeit für Jeremani und die vielen anderen Hirtenjungen in Lesotho.
Autorin: Joana Jäschke
Stand: 02.08.2019 22:42 Uhr
Kommentare