Mo., 13.02.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Indien: Mumbai – das Müllparadies
Mumbai: So stellt man sich eine schicke Metropole am indischen Ozean vor. Kilometerlange Strände, die zum Sonnenbaden einladen. Aber nur von weitem. Vor zwei Jahren erfüllt sich Afroz Shah seinen Lebenstraum. Er kauft sich ein Apartment mit Meerblick. Doch dann die Überraschung:
"Als ich aus dem Fenster schaute, sah ich lauter Müll. Mir haben die Augen wehgetan. Als Anwalt hätte ich mich bei der Stadtverwaltung beschweren können. Aber dann habe ich mir gesagt: Du bist Bürger und mitverantwortlich. Du machst selbst etwas."
Und zwar: den Strand sauber. Jeden Samstag, jeden Sonntag, jeweils zwei Stunden am Morgen. Einige Nachbarn packen mit an. "Es war schon schwer in den ersten Monaten. Wir waren nur vier, fünf Leute. Aber ich wollte ja gar keine große Bewegung gründen."
Aktion "sauberer Strand"
Mittlerweile ist daraus die wohl größte Strand-Reinigungs-Bewegung der Welt geworden. Bis zu hundert Freiwillige aus der Nachbarschaft folgen seinem Beispiel, sammeln Müll, graben Plastik aus. Mit dabei: auch Prominente aus der Bollywood-Filmindustrie. Langsam aber sicher kommt das große Ziel näher: die Säuberung des ganzen drei Kilometer langen Strandes.
Aber es gibt ja noch die vielen anderen Strände von Mumbai. Und die verdreckten Flüsse die den Stadtmüll ins Meer schwemmen.
Über zehntausend Tonnen Müll werden pro Tag in Mumbai produziert. Und Müllhalden gibt es viel zu wenige. Denn die Stadt liegt auf einer Halbinsel und hat chronische Platzprobleme. Darunter leidet auch der Tourismus. Ein Reiseveranstalter klagt darüber, dass der Müll ausländische Besucher abschreckt: "Schuld ist die Gleichgültigkeit der Leute und die der Stadtverwaltung. Erst wenn die das Müllproblem gezielt angeht, wird sich etwas ändern."
Aber warum sollte sie? Es gibt ja Arme, die vom Müll leben. Tarabai kommt aus der Gruppe der "Unberührbaren", im indischen Kastenwesen ist das die unterste Schicht, die traditionell für die Abfallbeseitigung zuständig ist. "Ich sammle pro Tag zwischen hundertfünfzig und zweihundert Kilo, trenne es nach Plastik und Papier und verkaufe es dann weiter."
Wie das mit dem Weiterkauf läuft, können wir leider nicht zeigen. Denn die Polizei geht dazwischen, stoppt die Dreharbeiten. Solche Bilder passen schließlich nicht zum Image einer modernen Stadt.
Kreative Wiederverwertung
Die Müllkrise durch Bildung bewältigen – das ist das Konzept von Natasha D’Costa. Sie kauft wiederverwertbaren Müll – und zeigt Schulklassen, was man alles daraus basteln kann. "Das ist das Tolle an Indien. Wir sind gut im Wiederverwerten. Es ist Teil unserer Kultur. Im Moment produzieren wir nur zu viel Müll. Wir müssen lernen, wie viel Wert in dem steckt, das wir regelmäßig wegschmeißen."
Allerdings: Nicht aller Abfall, der im Meer landet, eignet sich für Kunst. Vor allem nicht der Abfall, der mensch-gemacht ist. Der Strand als Klo. Für die, die keins haben. Nach der Plastikbeseitigung ist das die nächste Herausforderung für Anwalt Afroz Shah.
"Die Armen haben ja keine Wahl, die öffentlichen Klos sind superdreckig. Ich könnte jetzt Anzeige erstatten gegen jeden, der ins Meer scheißt. Stattdessen habe ich mir vorgenommen, selbst Klos zu reinigen."
Aber erst wird der Strandeinsatz beendet und das gesammelte Plastik abtransportiert. Wem das zu wenig nach harter Arbeit aussieht, der muss nur an einem anderen Wochenende vorbeischauen. An einem verregneten Sonntag zum Beispiel. Afroz und die meisten Freiwilligen sind wieder mit von der Partie. Und machen deutlich, dass die Aktion "sauberer Strand" keine Schönwetter-Aktion ist.
Autor: Markus Spieker/ARD Studio Neu Delhi
Stand: 13.07.2019 22:20 Uhr
Kommentare