So., 29.09.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Indien: Das Dorf der Witwen
Es ist heiß und es ist trocken. Steine klopfen ist harte Arbeit. Hier ist es inzwischen vor allem Frauenarbeit, weil es kaum noch Männer gibt. Aus Steinplatten werden Pflastersteine, bis zu 100 Stück jeden Tag, jede Woche, jeden Monat. Die Plätze zum Arbeiten sind verteilt. Aus allen Ecken hallt das Klopfen der Steine.
Gut einen Euro am Tag für die harte Arbeit. Dhanni Bairwa macht das seit 22 Jahren, seit ihrer Heirat: "Mein Körper tut weh, meine Beine, meine Hände, mein Rücken ganz besonders. Wenn ich nach Hause komme, schlafe ich sofort ein."
Die Minen, wie sie sie nennen, liegen am Dorfrand. Wir begleiten Dhanni Bairwa nach Hause. Ihre Familie hat, wie die meisten anderen, keinen Vater mehr. Viele Männer des Dorfes sind beim Steine klopfen krank geworden und gestorben.
Jeden Morgen bereitet die 45-jährige eine Mahlzeit für die Familie. Ihr Mann Govind starb vor acht Jahren. Ein Bild ist alles, was von ihm blieb. Der Staub vom Steine klopfen hat seine Lunge zerstört. Silikose oder Quarzstaublunge heißt die Krankheit, die in diesem Dorf schon viele getötet hat, erst die Männer und jetzt die Frauen, denn sie müssen die Arbeit übernehmen, um die Familie weiter zu ernähren: "Ich habe Silikose. Ich hatte vorher Tuberkulose, aber die wurde geheilt. Später habe ich dann erfahren, dass ich Silikose habe."
Ausbeuterische Arbeit mit Todesfolge
Zurück zu den Steinen. Dort tauchen plötzlich Männer auf. Es sind die Auftraggeber, die Subunternehmer, die hier arbeiten lassen. Es hat sich herumgesprochen, dass wir hier sind und drehen. Sie wollen, dass wir aufhören. Einigen der Frauen machen sie damit Angst. Masken verteilen sie keine und sie bestehen auch nicht darauf, dass sie getragen werden. Das sei Sache der Arbeiter.
Wegen der schlechten Bezahlung sei dafür aber kein Geld da, sagen die Frauen. Und in der Hitze mache es die Arbeit noch schwerer.
Dhanni Bairwa hat für den Streit keine Kraft mehr. Sie hat heute noch einen Termin im Krankenhaus. Auf dem geliehenen Motorrad bringt sie ihr Sohn zur Klinik. Für sie geht es vor allem darum, dass sie nicht wieder an Tuberkulose erkrankt. Das Risiko ist hoch, erklärt der Arzt.
Silikose ist eine tückische Krankheit. Wird sie erkannt, ist es zu spät. Die Schäden an der Lunge können nicht rückgängig gemacht werden.
Heilung gibt es im Krankenhaus für Dhanni Bairwa nicht, nur unterstützende Medikamente.
Um finanzielle Unterstützung geht es am nächsten Tag. Eine Hilfsorganisation hält eine Versammlung ab für die Arbeiterinnen und Witwen im Dorf. Sie informiert über staatliche Gelder und über den nicht gezahlten Mindestlohn: Es gibt keinen Mindestlohn, der Gesundheitsschutz wird ignoriert.
Auch Dhanni Bairwa bekommt nur die Hälfte des Mindestlohns. Trotzdem hofft sie noch möglichst lange die harte Arbeit machen zu können, um ihre Familie zu unterstützen. Dafür betet sie jeden Tag, jede Woche, jeden Monat.
Autor: Andreas Franz, ARD Neu-Delhi
Stand: 29.09.2024 21:57 Uhr
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