So., 13.09.15 | 19:20 Uhr
Das Erste
Indien: Die Stadt der Vegetarier
Dieser Mann will nicht töten, nicht eine Bakterie, nicht eine Ameise. Muni ist ein Mönch, ein Jain. Er betet immer mit Besen, fegt, damit er kein Tier zerquetscht.
Muni Divya Shekhar Vijay Ji Maharaj sagt: "Auf gar keinen Fall darf ein Insekt sterben. Deswegen nutzen wir diese Besen. Ich bekam den von meinem Guru. Alle meine Töpfe muss ich säubern. Und auch wenn eine Mücke auf mir sitzt, kehre ich sie herunter. Ich töte sie nicht."
Auch ein Tuch ist immer nah im Mund, damit er kein Insekt einatmet. Jains verabscheuen Gewalt, leben streng vegetarisch. Das heißt: kein Fleisch, logisch. Heißt aber auch laufen, barfuß, damit er nichts tottritt. Muni Divya Shekhar Vijay Ji Maharaj: "Wenn ich nicht aufpasse und ein Insekt töte, dann sündige ich. Es geht doch nicht nur darum, dass ich glücklich bin. Auch die kleinsten Lebewesen haben ein Recht auf Glück."
Alle Lebewesen werden gerettet
Glück hat, wer nicht im Kochtopf landet, deswegen passen sie auf, die vielen freiwilligen Helfer, die in den Großküchen arbeiten. Hier kochen sie für die Mönche. Es kann immer passieren, dass sich eine Ameise irgendwo versteckt, am Ende geköpft wird. Wer ein Insekt befreit, bekommt zwei Rupien Prämie
Aber es ist noch viel komplizierter. Jains glauben, auch Pflanzen können eine Seele haben. Und: Zwiebeln oder Kartoffeln sind tabu, denn wer Wurzelgemüse erntet, könnte Tiere töten.
Eigentlich müsste Muni Hunger haben: Er hat drei Tage gefastet, so wie immer zwischen den Mahlzeiten. Doch wenn er könnte, würde er das Essen am liebsten ganz einstellen: "Ich habe nichts, was ich am liebsten mag. Ich bin nicht gefräßig. Ich esse das, was sie uns geben. Ich esse, um zu überleben. Es geht mit nicht darum, dass es schmeckt."
Kein Hauch von Fleisch
Gut vier Millionen Jains gibt es – sie leben vor allem in Indien. Fleisch ekelt sie an. In Palitana: Die Stadt an Indiens Westküste ist für Jains eine Art Mekka, ein heiliger Ort. Einmal am Tag essen muss für die meisten reichen. Schnell Zähne putzen und wieder beten. Fleisch- und Bratengeruch darf in der Stadt Niemanden stören. Um das zu erreichen, haben die Mönche vor einem Jahr das Essen zeitweise eingestellt. Der Hungerstreik hatte Erfolg. Palitana wurde zur vegetarischen Stadt erklärt.
Aber beim Essen hört der Spaß auf, auch für Rafiq. Er ist Moslem und ihm ist egal, ob er kleine Lebewesen totfährt. Fleisch will er kaufen, doch das geht nur noch mit schlechtem Gewissen, weil verboten.
Die Fleischer fühlen sich erwischt. Sie haben keine Lizenz mehr. Handeln ist illegal. "Gibt es noch was?", fragen wir. Ein Hühnchen ist alles, was noch übrig ist.
Kann Fleisch denn Sünde sein?
Rafiq Malik verteidigt sich: "Ich denke nicht, dass wir etwas Schlimmes tun. Unsere Religion verbietet uns das Fleisch nicht. Das ist unsere Tradition seit Jahrhunderten. Der folgen wir. Nichts weiter." Rafiq gibt nicht auf; der Hunger treibt ihn weiter. Und diesmal hat er Glück. Kaum ein Fleischer geht noch Risiko ein, wenn, dann lässt er sich das bezahlen: Das Hühnchen kostet doppelt so viel wie früher.
20 Prozent Muslime leben in Palitana. Sie wollen sich nicht vorschreiben lassen, was in ihren Töpfen brutzelt. Immer öfter sind sie trotzdem Vegetarier wider Willen. Nur noch zweimal pro Woche bekommt Rafiqs Familie Fleisch, aber wenn, interessiert es sie nicht, dass Tiere sterben mussten, damit es ihnen schmeckt.
Rafiq Malik begründet das: "Wir haben doch für das Fleisch bezahlt. Und das hat doch nichts mit Mitgefühl zu tun. Wir töten doch nicht. Das macht der Fleischer."
Jedes Leben ist heilig
Warum sind Jains nicht toleranter? Wir wollen einen Guru fragen, für Jains ein heiliger Mann, ein Vorbild.
Der Guru gibt uns ein Interview. Allerdings dürfen wir seine Stimme nicht aufnehmen, denn ein Mikrofon braucht Strom. Strom ist Leben. Und Leben darf nicht benutzt werden. Natürlich läuft auch die Kamera nicht von allein, aber da macht der Guru eine Ausnahme: So erklärt er uns, dass jedes Lebewesen ein Recht zu leben hat und dass es mit der Toleranz vorbei ist, am heiligen Ort. Außerhalb der Stadt dürfe jeder essen, was er wolle.
Muni lebt seit 20 Jahren als Mönch und nachts im Dunkeln, denn Licht ist ja auch lebendig. Vor dem Schlafen fegt er schnell noch einmal durch. Er will so schnell wie möglich ins Nirvana, also nicht wiedergeboren werden. Je weniger Tiere sterben, desto eher klappt es, glaubt er: „Immer wieder finden wir tote Insekten in der Kleidung oder auf dem Boden. Das müssen wir dann dem Guru melden. Er sagt uns dann, dass wir meditieren und Gott bitten sollen, uns zu vergeben.“
Heute war ein guter Tag: Muni hat kein Tier getötet.
Autor: Gábor Halász, ARD Neu Delhi
Stand: 18.09.2015 16:53 Uhr
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