So., 20.02.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Irak: Wenn Krieg auch nach seinem Ende tödlich ist
Mohammed hatte schon den Trainingsanzug an, wollte zum Fußball. Dann aber stieg er kurzerhand beim Vater ein, um eine Kuh wieder einzufangen. Auf dem Feldweg explodierte ein Sprengkörper, direkt unter dem Beifahrersitz. Mohammed rang mit dem Tod. Zehn Monate ist das nun her. Wenige hundert Meter entfernt von hier. Im Umland Mossuls. Traumatische Erinnerungen werden wach: "Es war eine gewaltige Explosion. Beide Beine von Mohamed wurden weggerissen. Er war sofort bewusstlos. Wir haben ihn ins Krankenhaus gebracht."
Vorher und nachher
Mohammed kann sich an nichts davon erinnern. Als er aufwachte, hatte er unerträgliche Schmerzen und keine Unterschenkel mehr: "Ja, ich vermisse mein altes Leben sehr. Ich würde so gerne wieder Fußball spielen. Wenn ich zuschaue, wie meine Freunde spielen, tut das weh."
Die Idylle trügt. Der Tod lauert in der Provinz Nineweh. Überall im Boden schlummern Minen, Granaten, Raketen, Sprengfallen. Keiner weiß genau, wie viele. Allein in Mohammeds Dorf fielen ihnen zwei Menschen zum Opfer. Drei wurden schwer verletzt. Er ist der jüngste unter ihnen.
Das tödliche Erbe des Krieges – in der Provinzhauptstadt Mossul allgegenwärtig auch fast fünf Jahre nach der Niederlage der Terrormiliz IS. Ganze Viertel liegen noch in Trümmern. Tausende Granaten und Raketen gingen auf die Stadt nieder. IS-Kämpfer verminten sie. Viele dieser Explosivwaffen sind mittlerweile zwar geräumt, längst aber nicht alle.
Hilfe für die Verletzten
Verletzte werden in dieser Klinik behandelt. Jeden Monat sind es vier neue Patienten, für sie die einzige Anlaufstelle in der Provinz. Techniker stellen die Prothesen selbst her und montieren sie, mit Feilen und reichlich Klebstoff. Die Mittel sind knapp. Es drohen Kürzungen, obwohl schon jetzt längst nicht alle Patienten behandelt werden können, wie uns der Leiter des Zentrums erzählt.
Auch Mohammed hat hier wieder laufen gelernt. Er kam im Rollstuhl, erhielt Prothesen, Physiotherapie und viel Zuspruch. Nun ist er sehr viel selbständiger. Aber Einschränkungen bleiben. Die Prothesen sitzen nicht gut, schmerzen ihn. Längere Strecken kann er bis heute nicht laufen. Mühsam kämpft er sich zurück ins Leben, will seiner Familie nicht auf Dauer zur Last fallen, Vorbild sein für seine Brüder.
Neuen Lebensmut zu fassen, ist Mohammed am Anfang schwergefallen. Und doch hat er sich aufgerafft, schaut wieder nach vorne – auch dank vieler Gespräche mit seiner Therapeutin.
Mohammed teilt sein Schicksal mit zahllosen anderen Landsleuten. Im Irak leben mehr als acht Millionen Menschen im Hochrisikogebiet. Kaum ein anderes Land der Welt ist mit Minen, Raketen und Granaten so massiv belastet.
Vor einem Jahr noch stürmte Mohammed auf diesem Fußballplatz aufs Tor. Er galt als Ausnahmetalent. Mit den schweren Prothesen aber kann er nicht mehr mithalten. Die Schuld dafür sieht er bei all den Kriegstreibern, die Wohngebiete rücksichtlos bombardieren und verminen: "Sie zerstören und töten unentwegt. Andere verlieren ihr Leben. Ich habe nur meine Beine verloren."
Und die Welt lässt sie gewähren. Mohammed aber muss mit den Folgen für immer leben.
Autor: Daniel Hechler, ARD Kairo
Stand: 21.02.2022 00:10 Uhr
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