So., 17.03.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Israel/Gaza: Schwierigkeiten bei Hilfslieferungen
Die humanitäre Lage in Gaza ist katastrophal. Die Versorgung der mehr als zwei Millionen Menschen ist unzureichend. Doch die israelische NGO "Standing Together" stößt mit ihrem Hilfskonvoi auf Widerstand.
"Wir sind dagegen, Menschen aus politischen Gründen verhungern zu lassen"
Tikva Meron hofft, dass es dieses Mal klappt. Morgens um neun Uhr in Tel Aviv will Tikva zusammen mit anderen Aktivisten der israelischen NGO "Standing Together" diesen LKW mit Hilfslieferungen nach Gaza bringen. "Wir sind dagegen, Menschen aus politischen Gründen verhungern zu lassen und ich hoffe, dass sich genügend Leute unserem Konvoi anschließen werden, um diese Botschaft deutlich zu machen." Ihr Ziel: Der Grenzübergang Kerem Shalom, 130 Kilometer südlich von Tel Aviv. Doch der liegt im militärischen Sperrgebiet. Beim ersten Versuch eine Woche zuvor hat die Polizei die Aktivisten gestoppt. Das ist nicht das einzige Hindernis. Mitten auf der Fahrt macht ein Motorradfahrer klar, wie viele über die Hilfe denken – und zeigt seinen Mittelfinger. "Du siehst ja, was los ist. Ich gehöre hier zu einer Minderheit und diese Minderheit schrumpft immer weiter." Fast siebzig Prozent der israelischen Bevölkerung lehnen humanitäre Hilfe für Gaza ab. Seit Wochen blockieren rechte Aktivisten Hilfslieferungen. Wollen damit Druck auf die Hamas ausüben. Tikva, weiß, dass sie auch ihre Aktion aufhalten könnten.
Gaza: hier soll Tikvas Hilfe ankommen. Weit mehr als 500.000 Menschen stehen laut Vereinten Nationen im Gazastreifen vor dem Hungertod. Besonders der Norden ist von Hilfslieferungen nahezu komplett abgeschnitten. Immer wieder dramatische Szenen, wenn es doch ein Konvoi schafft – verzweifelte Menschen überrennen die Trucks, Banden überfallen sie, auch israelisches Militär hat bereits während Lieferungen geschossen. Hilfsgüter aus der Luft und über See sollen helfen – doch Hilfsorganisationen sagen, das könne nie ausreichen. Israel müsse mehr Hilfe über den Landweg reinlassen.
Gegenseitige Schuldzuweisungen für die humanitäre Krise
Zurück nach Israel. Letzter Stopp an einer Tankstelle, 20 km vor dem Grenzübergang. Auch hier stoßen die Aktivisten auf Unverständnis. "Wem gebt ihr Essen? Den Terroristen, die uns hier angegriffen haben?” sagt diese Frau, deren Onkel als Geisel nach Gaza verschleppt wurde. Tikva ist diese Konflikte schon gewohnt. Der Konvoi fährt weiter – Richtung Gaza. "Das größte Problem in dieser Region ist, dass auf beiden Seiten die meisten Menschen nur ihr eigenes Leid sehen, davon sprechen und danach handeln – so, als ob es auf der anderen Seite kein Leid gäbe. Es ist sehr schwer, dann eine Lösung zu finden. Eine Brücke kann man nur bauen, wenn man den anderen wahrnimmt und Empathie hat."
Hier wollen die Aktivisten hin – zum Grenzübergang Kerem Shalom, wo Israel Hilfslieferungen nach Gaza kontrolliert und abgefertigt. Vor wenigen Tagen haben die israelischen Behörden internationale Journalisten hierhin eingeladen. Sie wollen deutlich machen: Israel tue alles, damit ausreichend Hilfslieferungen nach Gaza kommen. "Aus unserer Sicht gibt es keine humanitäre Krise", sagt Colonel Elad Goren. "Es gibt Herausforderungen und Hürden, aber das Hauptproblem sind die Kapazitäten der UN, die es nicht schaffen, Güter zu verteilen und Verantwortung für ihre eigenen Aktivitäten zu übernehmen." Die Vereinten Nationen weisen das zurück – werfen Israel vor, nicht ausreichend Hilfsgüter reinzulassen und die Verteilung systematisch zu behindern. Es fehle etwa an gesicherten Transportrouten. Laut Völkerrecht ist Israel hier in der Pflicht.
Kein Durchkommen für den Hilfskonvoi nach Gaza
Noch einmal zurück zu Tikva. Doch bis zum Grenzübergang Kerem Shalom kommen sie und die anderen Aktivisten nicht. Die Polizei stoppt sie auch dieses Mal etwa neun Kilometer vorher an einem Straßencheckpoint. Sie müssen umdrehen. Militärisches Sperrgebiet – keine Weiterfahrt. Die Aktivisten wollen zeigen, dass sie es versucht haben und aufgehalten wurden, machen Fotos von ihrer Aktion. Dann sollen sie den Ort verlassen. "Ich hoffe, dass sich das zumindest auf Social Media verbreitet, denn unsere Hilfsgüter wurden nicht nach Gaza reingelassen. Wir wollen immerhin ein Zeichen setzen gegen das Aushungern." Sie will trotzdem wiederkommen. Übersetzt heißt ihr hebräischer Name – Tikva – "die Hoffnung".
Autorin: Sophie von der Tann, ARD-Studio Tel Aviv
Stand: 18.03.2024 00:14 Uhr
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