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Indien/Israel: "Hindus only"

Indien/Israel: "Hindus only" | Bild: picture alliance/dpa | Christophe Gateau

Seit dem Angriff der Hamas dürfen Palästinenser aus dem Westjordanland und Gaza nicht mehr in Israel arbeiten. Dem Land fehlen Schätzungen zu Folge mehr als 150.000 Arbeitskräfte. Ersetzt werden sollen sie durch Billiglöhner aus Indien. Von hier sind im Dezember vergangenen Jahres zwei Brüder aufgebrochen. Einer von ihnen starb bei einem Angriff der Hisbollah. Der andere ist nach wie vor in Israel zum Arbeiten. "Wir müssen viel aushalten", sagt er, "um unsere Familie unterstützen zu können." Anfangs wurden die Arbeitskräfte noch über private Agenturen vermittelt, jetzt gibt es auch ein staatliches Anwerbeverfahren, weil der Bedarf so groß ist. Indische Muslime wollen manche Vermittler ausdrücklich nicht, sie werben ausschließlich Hindus und Christen an.

Von Indien zum Arbeiten nach Israel

Frau betrachtet Foto von verstorbenem Sohn
Nibin Maxwell starb als indischer Gastarbeiter in Israel  | Bild: SWR

Er war ihr Lieblingssohn. Nibin Maxwell. "Er wurde uns weggenommen", klagt Rose Maxwell. Nibin stirbt Anfang März. Tausende Kilometer von seiner Mutter entfernt. Im Norden Israels, an der Grenze zum Libanon, wo er als indischer Gastarbeiter auf einem Feld arbeitet, als dort eine Rakete der Hisbollah einschlägt. Mehrere ausländische Arbeiter werden verletzt. Und in Indien verliert eine Mutter ihr Kind. "Ich habe es erst gar nicht geglaubt. Ich dachte, er sei sicher nur verletzt. Als am nächsten Tag aber die Medien hier auftauchen, wusste ich, er ist tot."

Nibin Maxwell wächstIm Süden Indiens auf. Die Familie ist groß – alle leben unter einem Dach. Seine Eltern, die Brüder, die eigenen Kinder. Doch mit der Familie wachsen auch die Probleme. Arbeit, die zum Leben reicht, gibt es hier kaum. Die Familie nimmt Kredite auf, und auch die Schulden wachsen. Auch das Haus wird gepfändet. Bis sich vergangenes Jahr, kurz nach dem Anschlag der Hamas auf Israel, plötzlich eine lukrative Möglichkeit auftut.

Indische Arbeiter zeigen Dokumente
In Indien werden Arbeitskräfte für Israel rekrutiert | Bild: SWR

Überall tauchen Anzeigen auf. Gesucht werden Arbeiter für Israel. Versprochen wird ein gutes Gehalt. "Hindus Only" heißt es in manchen Anzeigen. Nur Hindus – vielleicht noch Christen, Muslime aber sind keine erwünscht. Auch Rose Maxwells Sohn sieht so eine Anzeige. Zusammen mit seinem Bruder will er nach Israel. "Ihnen wurde ein gutes Gehalt versprochen, deshalb sind sie gegangen. Wir hatten ja Schulden und viele Probleme und mit dem Geld sollten sie uns alle über Wasser halten."

Keine Arbeitskräfte, keine Ernte

Im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh rekrutiert im Januar sogar der Staat selbst Arbeiter für Israel. Die Nachfrage ist riesig. 6.000 indische Arbeiter werden hier am Ende ausgewählt. Für die Arbeit in einem Land, das da schon mitten im-Krieg steckt und aus dem Libanon greift die Hisbollah fast täglich an. "Beide sind mit so viel Hoffnung dorthin gegangen. Niemand hätte gedacht, dass es so enden würde. Wir dachten, alle unsere Probleme werden gelöst. Wir können unsere Schulden abbezahlen und in Frieden leben."

Grapefruits liegen am Boden
Niemand erntet die Grapefruits  | Bild: SWR

Hier in Israel suchen Menschen wie Erez Ilan händeringend nach Arbeitern. "Das sind Grapefruit. Die wurden nicht geerntet, weil die Arbeiter fehlen", sagt Erez Ilan vom Landwirtschaftsverband Emek Hefer. Also macht sich das direkt bemerkbar? "Ja, da wurde gar nicht gepflückt, die Bäume sind voll." Die Arbeiter kamen früher eigentlich immer aus dem besetzten Westjordanland. Doch seit den Hamas-Angriffen dürfen Palästinenser von dort nicht mehr nach Israel zum Arbeiten kommen – wegen Sicherheitsbedenken. "Wenn wir die palästinensischen Arbeiter wieder hätten, wäre das das Beste für alle, sie sind sehr erfahren. Und das wäre auch gut für ihre Wirtschaft. Denn auch sie brauchen Wohlstand, müssen ja auch leben und Geld verdienen."

Der Tod fern der Heimat

Mehr als 150.000 Palästinenser aus Israel und Gaza haben schätzungsweise vor dem Krieg in Israel gearbeitet – vor allem im Niedriglohnsektor. Jetzt sollen ausländische Arbeitskräfte sie ersetzen. So wie Nivin Maxwell. Der sich mit seinem Bruder Nibin, den eine Hisbollah Rakete tötete, fast den gleichen Namen teilt. Er arbeitet weiterhin in Israel. "Vor allem meine Mutter ist sehr nervös, noch mehr als alle anderen", sagt Nivin. "Sie will, dass ich sicher bin." Ein Jobangebot auf einer Farm in der Nähe des Gazastreifens hat er deshalb abgelehnt – zu gefährlich. Er sucht weiter nach Arbeit. "Was sollen wir machen? So ist nun mal unser Leben. Um müssen unsere Familien unterstützen zu können, müssen wir viel aushalten. Wir verlassen unsere Familien, unsere Freunde, alles."

Tattoo auf Arm
Name des toten Bruders als Tattoo  | Bild: SWR

Hier fühlt er sich seinem toten Bruder am nächsten, sagt Nivin. Auch wenn der Schock tief sitzt. "Wir alle vermissen ihn, ich, meine Familie, seine Familie, seine Freunde, alle…" Die Erinnerung an seinen Bruder trägt er immer bei sich. "Der Name meines Bruders. Weil er bei dem Angriff seinen linken Arm verloren hat, habe ich seinen Namen auf meinem linken Arm." Die Familie in Indien wird er wohl erst in einem Jahr wiedersehen können – wenn er genug Geld für einen Heimflug gespart hat. Bis dahin bangen sie weiter um den Sohn, der tausende Kilometer von zu Hause sein Glück versucht. Und trauern um den anderen, der dort sein Leben verlor.

Autorinnen: Annette Kammerer, ARD-Studio Neu-Delhi und Sophie von der Tann, ARD-Studio Tel Aviv

Hierzu auch der Weltspiegel Podcast: "Von Indien nach Israel: Zum Arbeiten ins Kriegsgebiet" mit Philipp Abresch, Sophie von der Tann und Annette Kammerer. Redaktion: Steffi Fetz. In der ARD-Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.

Stand: 29.07.2024 09:35 Uhr

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