So., 26.01.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Israel: Geschichte einer Versöhnung
Handwerker aus Sachsen in Jerusalem. Sie sind nicht als Touristen gekommen, sondern um ganz praktisch zu helfen. Und zwar bei Holocaust-Überlebenden.
Helfen und nicht vergessen
"Das ist etwas ganz besonderes – auch für die Leute hier, das erstmal überhaupt zuzulassen. Sie kennen ja nur damals die, die sie umbringen wollten oder verfolgt haben und das Schlimmste mit ihnen gemacht haben. Und jetzt kommen Leute, die in Liebe kommen, die ihnen helfen wollen, die Freunde sein wollen. Und dann passiert was", erzählt Michael Sawitzki, Handwerker aus Chemnitz.
Michael Sawitzki (situativ): "Ich habe Dir noch was Schönes mitgebracht...Lebkuchen, dass Du lange lebest."
Josef Aron wurde 1935 in Frankfurt am Main geboren. Er hat das KZ Bergen-Belsen als Kind überlebt. "Ich habe eigentlich viele Jahre kein deutsch gesprochen. Ich vergesse langsam die deutsche Sprache. Und ich freue mich immer, wenn ich mit den Leuten sprechen kann!"
Michael Sawitzki ist Handwerker aus Chemnitz. Vor ein paar Jahren hat er Josefs Wohnung renoviert. Seitdem sind die beiden Freunde. Christine Vogel ist zum ersten Mal dabei, um ehrenamtlich zu helfen. Viel weiß sie nicht von Josef Aron. Aber der hat Kaffee gemacht und will von seiner Zeit im KZ erzählen.
Sich an jedes Detail erinnern
"Du darfst nicht zeigen, dass du müde bist. Das war verboten. Wenn sie gesehen haben, dass du müde bist oder dass du krank bist, die haben einen erschossen. Ohne Mitleid. Garnichts. Einfach eine Kugel in den Kopf", erzählt Josef Aron, Holocaust-Überlebender. Josef Aron ist damals sechs Jahre alt. Was er dann in Bergen-Belsen erlebt, er erinnert sich bis heute an jedes Detail.
"Wir mussten auf dem Bauch liegen. Und da kamen Soldaten. Und...die haben uns vergewaltigt. Die haben uns tagtäglich...Wie soll ich das sagen? Wir waren so wie Huren für die Soldaten. Und wir waren nur Kinder. Zum Schluss hast du schon nichts mehr gespürt, dass es das war", erzählt Josef Aron.
Als die Briten Bergen-Belsen im April 1945 befreien, ist Josef 9 Jahre alt und wiegt 11 Kilogramm.
"Ich liebe Deutschland. Ich habe Deutschland vergeben, auch alles was ich durchgemacht habe im 2. Weltkrieg...Ich habe mich gefreut, wenn die Leute da waren. Das hat mir gutgemacht, wieder Deutsche zu haben bei mir in meiner Wohnung", sagt Josef Aron.
"Es tut innerlich sehr, sehr weh. Man sieht mir von außen die Regung vielleicht nicht an, aber innerlich ist alles aufgewühlt", sagt Christine Vogel, ehrenamtliche Helferin.
Der Wunsch nach Versöhnung
Helfen und nicht vergessen. Die Handwerker aus Sachsen besuchen die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Mehr als nur ein Pflichtprogramm. Auschwitz, Bergen-Belsen. Bilder, die für die freiwilligen Helfer kaum zu ertragen sind. Und Fragen, die plötzlich wieder hochkommen. Bei Christine Vogel sind es Fragen an die eigene Familie. "Es ist auch Scham. Und es beschämt mich noch mehr, weil ich nicht weiß, wo mein Großvater dabei war. Er war dabei. Und ich weiß nicht wo. Opa, wo warst Du? Was hast Du getan", fragt sich Christine Vogel.
Es ist der Wunsch nach Versöhnung und ihr christlicher Glaube, der die Handwerker vom Verein der Sächsischen Israelfreunde antreibt. Darum stehen sie jetzt hier, in der Wohnung von Naomi Altan, einer Holocaustüberlebenden, die sich eine solche Renovierung selbst nicht leisten könnte.
"Viele schütteln auch mit dem Kopf, wenn wir sagen, wir nehmen Urlaub, wir bezahlen die Reise, wir bezahlen die Unterkunft und dann noch das Material. Ja, dann sagen die schon mal, hier in Israel nennt man das Balagan. Balagan heißt: so ein bisschen verwirrt, durcheinander", sagt Uwe Schramm, Dachdeckermeister.
Persönlicher Kontakt ist den Helfern wichtig
Naomi Altan ist 80 Jahre alt. Sie hat die Judenvernichtung in Rumänien überlebt. Dass es den Handwerkern aus Sachsen um mehr als nur eine neue Dusche geht, das spürt auch sie. "Ich sehe, dass es Menschen sind, die etwas wiedergutmachen wollen, das in der Vergangenheit passiert ist. Das ist schön. Ich freue mich einfach, dass sie hier bei mir sind", sagt Naomi Altan, Holocaust-Überlebende.
Jörg Ahner ist Klempnermeister aus Chemnitz. Persönlich ist er noch nie Holocaust-Überlebenden begegnet. Doch jetzt, nach zwei Tagen in der Wohnung, hat Naomi ihm seine Unsicherheit genommen.
"Anonym arbeiten kann ich überall. Das ist ja das, was den Einsatz hier ausmacht. Für mich. Dass man mit einander ins Gespräch kommt, dass man was Gutes tun kann", so Jörg Ahner, Klempnermeister.
Am Ende ihres Einsatz gehen die Handwerker Uwe Schramm und Michael Sawitzki an die Klagemauer. Auch für sie als Christen ein heiliger Ort. Hier die Kippa zu tragen – aus Respekt gegenüber den Juden in Israel und in Deutschland – für sie selbstverständlich.
"Solange, wie es Zeitzeugen gibt, und die haben wir heute wieder erlebt, und die Geschichte erzählen, was sie durchgemacht haben, dann würde ich jeden einladen, die das leugnen wollen oder einfach nicht verstehen, hierher zu kommen nach Israel, nach Jerusalem, und mit den Leuten darüber zu sprechen, was sie durchgemacht haben. Das verändert. Viele, viele werden verändert gehen. Sie werden die Herzen verändern, wenn sie so etwas hören und sehen", erzählt Michael Sawitzki.
Autor: Norbert Lübbers
Stand: 27.01.2020 14:59 Uhr
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