So., 26.01.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Kenia: Baum gegen Mensch
Ein Symbolbaum wird gepflanzt und viele Tausende sollen folgen – ein Umweltminister macht Ernst. Es geht um den Mau-Wald im Nordwesten Kenias. Ein Ökosystem, dessen Bedeutung weit über Kenia hinausgeht.
Baum statt Mensch
"Das Mau-Reservoir versorgt die Region bis hinein nach Tansania mit Wasser, in den Natron-See, den Victoria-See, in den Nil – es geht also nicht nur um die lokale Bevölkerung hier, sondern um Millionen Menschen. Es ist ein lohnenswertes Opfer, das gebracht wird", so Keriako Tobiko, Umweltminister Kenia. Ein Opfer, das sie zu bringen haben: Vertriebene, unterwegs mit ihren Familien, ihrem kleinen Besitz. Ihre abgerissenen Häuser nehmen sie mit, als Baumaterial.
Dorthin, wo die Regierung sie vielleicht künftig bleiben lässt. Denn hier soll wieder Wald entstehen. Wer hier lebt, soll Bäumen weichen, die er einst vielleicht selbst gefällt hat – so will es die Regierung Kenias. Auch sie muss weg: Catherine Malel. Sie erntet noch schnell ein bisschen Hirse von ihrem Feld, zu mehr reicht es nicht.
"Ich bin ja nur deshalb noch hier, weil ich es einfach nicht schneller geschafft habe", sagt Catherine Malel, Anwohnerin. Auf die Hirse ist die Mutter von fünf Kindern angewiesen. Für die Maisernte hat sie keine Zeit mehr, die Vorratsscheune ist schon zerstört. "Sie haben uns gesagt: Ihr dürft hier nicht bleiben – das ist Waldgebiet. Ihr habt die Wasserquellen geschädigt", erzählt Catherine Malel.
Bäume gegen Bauern – und den Klimawandel
Die Zerstörung des Mau-Waldes – jahrzehntelang wurden Bäume gefällt, Holzkohle wurde produziert, aus Waldland wurde Ackerland. Einer der wichtigsten Wasserspeicher des Landes funktioniert deshalb nicht mehr richtig, den Seen der Region fehlt Wasser, auch den Menschen und den Tieren, bis in den Nationalpark Masai Mara. Auch im Kampf gegen den Klimawandel setzt Kenia nun auf den Mau-Wald. Bis 2022 will das Land insgesamt zehn Prozent seiner Fläche mit Bäumen bepflanzt haben.
Kaum sind die Hütten der Bauern zerstört, werden die Löcher für Bäume ausgehoben. Bäume gegen Bauern – und den Klimawandel. Kann das sein? Haben die Bauern keine Landrechte? Das ist umstritten – aber nicht für den Umweltminister. Kenia hat der UN versprochen, zwei Milliarden Bäume bis zum Jahr 2022 zu pflanzen. Für den Minister ist Eile geboten. Es gehe um die Lebensgrundlagen aller Bürger – nicht um die Menschenrechte einzelner.
"Sie sind nicht vertrieben worden, sondern freiwillig gegangen. Dorthin, wo sie hergekommen sind. Jeder einzelne wusste, dass er hier nie hätte herkommen dürfen", so Keriako Tobiko.
Leben ohne Ackerland und Hoffnung
Einige bauen sich an diesem Hang neue Hütten – ohne Ackerland, aber auch ohne Hoffnung. Denn eigentlich sollen sie in ein paar Monaten auch von hier wieder weiterziehen, raus aus der Baumschutzzone. Catherine lebt jetzt bei ihrem Onkel, bis ihre neue Hütte fertig ist. Die alte habe sie nicht freiwillig verlassen, sagt sie. Und widerspricht dem Minister: es habe sehr wohl gewaltsame Vertreibung gegeben.
"Manche (meiner Tiere) sind verschwunden, als die Sicherheitsleute aggressiv wurden. So weiß ich nicht, wo einige meiner Schafe geblieben sind. Nur drei Schafe sind mir am Ende geblieben. Die Regierung hat uns viel Leid gebracht. Sie ist verantwortlich, dass mein Haus niedergebrannt wurde", erzählt Catherine Malel.
Waldschutz macht das Leben vieler schwerer
Geschichten, die hier viele kennen. Vertriebene treffen sich, fragen, wie es weitergehen soll. Die Regierung ist in der Zwickmühle: Die Umweltschäden durch die Besiedlung des Mau-Waldes sind riesig. Aber auch der politische Schaden durch die Vertreibung der Siedler nimmt zu. Im fernen Nairobi kann der Menschenrechtler Duncan Ojwang einen Etappensieg zugunsten der Siedler verkünden: Die afrikanische Menschenrechtskommission untersagt der Regierung Kenias erstmal, weitere Farmen zu räumen.
"Die Kommission fordert, die weitere Vertreibung der Mau-Gemeinschaften und die Schließung ihrer Schulen zu unterlassen. Ferner ist ihr Recht auf Eigentum zu schützen, bis der Fall abschießend entschieden wurde. Wenn Du um einen Baum weinst, aber nicht um ein Kind, dass in der Kälte schläft, wird das Kind keine Empathie für den Baum entwickeln", so Duncan Ojwang, Menschenrechtsanwalt.
Ob die fünf Kinder von Catherine einmal Sympathien für Bäume entwickeln? Erstmal jedenfalls macht der Waldschutz ihr Leben schwerer. Oft übernachten sie nun fernab bei Verwandten, denn die neue Schule ist jetzt weit weg. Für Catherine ist es schwer, in der neuen Siedlung Essen für ihre Kinder zu beschaffen.
"Manche Kinder gehen nicht mal mehr zur Schule. Sie haben keine Bücher, Stifte, Schuluniformen oder können selbst Schulgebühren nicht bezahlen. Sie bleiben einfach zu Hause", sagt Cathrine Malel.
Baum statt Mensch. In Ostafrika geht es um den Klimaschutz, sagt die Politik, nicht um Menschenrechte.
Autor: Norbert Hahn/ARD Studio Nairobi
Stand: 26.01.2020 20:00 Uhr
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