So., 24.02.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Italien: Abtreibung – zurück ins Mittelalter?
Die Stadt von Romeo und Julia. Verona. Die Stadt der Liebe und seit einiger Zeit auch "die Stadt für das Leben". Dafür haben Konservative und Katholiken gekämpft. Zig tausend Besucher kommen jährlich hierher, um ihre Liebe zu besiegeln.
Heftige Abtreibungsdebatte in Verona
Und für die ewige Liebe, vor allem aber für das ungeborene Leben kämpft er: Alberto Zelger. Abtreibungsgegner von Salvinis Lega. Im vergangenen Jahr hat er einen Antrag im Stadtrat eingebracht, darin fordert er unter anderem, werdende Mütter davon zu überzeugen, ihr Kind auszutragen. Er will Abtreibungen um jeden Preis verhindern. Dafür schenkt er ihnen 18 Monate lang 160 Euro monatlich. Zelger selbst nennt das eine "anonyme Adoption". "Ich sage, dass das bisherige Abtreibungsgesetz zutiefst ungerecht ist, denn es berücksichtig das vermeintliche Recht der Frau, aber nicht das Recht des Kindes, das bereits existiert: Nach der fünften Woche schlägt das Herz nämlich schon. Wenn wir im Internet Bilder von abgetriebenen Föten anschauen, dann sehen wir zerquetschte Kinderfüße, zertrümmerte Köpfe: Das ist Schlachterei", so Alberto Zegler, Abtreibungsgegner.
Irene Villa und Francesca Milan sehen das ganz anders. Die beiden Aktivistinnen beobachten mit Schrecken, was da im Stadtrat passiert. Sie empfinden es als einen Rückschritt gen Mittelalter.
"Verona ist ein kleines Labor der rechten Politik geworden. Derer, die momentan in Italien regieren. Diese rechte Politik hat sich im Hinblick auf die Rechte der Frau bei Fortpflanzung, aber auch den Rechten homosexueller und transgender Gemeinschaften als diskriminierend und gewalttätig herausgestellt", findet Irene Villa, Aktivistin.
"Indem man nämlich eine Art Heiligkeit des Körpers propagiert, der zu seiner natürlichen Bestimmung finden muss, das heißt: Mutterschaft, Erziehung und Haushalt", so Francesca Milan, Aktivistin.
Schwierige Situation für Frauen
Als die Lega den Antrag im Stadtrat einbrachte, zogen tausende Aktivistinnen durch die Straßen. Denn sie wollen auch weiterhin im Fall einer Schwangerschaft entscheiden, ob sie abtreiben oder nicht. Seit 40 Jahren dürfen Italienerinnen in den ersten 90 Tagen ihrer Schwangerschaft abtreiben. Voraussetzung dafür ist ein Beratungsgespräch und eine Woche Bedenkzeit. Genau so soll es auch bleiben. Dafür kämpfen sie. Doch der Antrag der rechtsradikalen Lega wurde mit großer Mehrheit vom Stadtrat angenommen. Und für die Frauen kommt es noch schlimmer.
"Nach dem Antrag von Verona hat es eine Kettenreaktion gegeben. Andere Städte, wie Ferrara, Mailand oder Rom haben den Antrag exakt kopiert. Mit der gleichen Absicht sie zur Lebensschützenden Stadt zu erklären, als ob es eine Stadt geben könne, die für den Tod ist", sagt Francesca Milan.
Überall sehen die Frauen Gefahren: Anonyme Adoptionen, wachsender Einfluss der katholischen Kirche, immer mehr Mediziner, die Abbrüche nicht durchführen wollen, noch weniger Krankenhäuser, die abtreiben. Deshalb planen sie weitere Aktionen. Den Rückschritt ins Mittelalter wollen sie mit allen Kräften verhindern.
500 Kilometer Richtung Süden: Rom. Morgens früh um sieben Uhr in einem Krankenhaus. Einem von Zweien in der Hauptstadt, das Abtreibungen durchführt. Wir drehen mit versteckter Kamera. Seit vier Uhr in der Nacht warten die Frauen hier, damit sie auch wirklich behandelt werden. Viele von ihnen berichten von einem Marathon, dass sie hingehalten wurden, keinen Termin bekommen haben. Ein Spießrutenlauf gegen die Zeit. Oft fahren Frauen hunderte Kilometer, um eine Gynäkologin zu finden, die abtreibt.
Kampf für ein legales Abtreibungsrecht
Das erlebt Elisabetta Canitano seit Jahrzehnten. Die Gynäkologin treibt ab. Und sie ist eine der wenigen Ärztinnen, die das tut und dazu steht. Es steigt die Zahl der Mediziner, die aus Gewissensgründen verweigern. Das ist per Gesetz erlaubt. Landesdurchschnitt: 70%. Hinzu kommt: Ärztinnen wie Elisabetta werden diffamiert. "Es ist quasi so, als würden die Verweigerer die noblen medizinischen Aufgaben übernehmen und die Nicht-Verweigerer machen die Drecksarbeit. Ich habe mal zu einer Kollegin gesagt, dass ich Abtreibungen durchführe und sie meinte zu mir: Du tust es Herodes gleich, betreibst Kindesmord. Ein Abtreibungsarzt ist kein richtiger Arzt", so Elisabetta Canitano, Gynäkologin.
Elisabetta engagiert sich auch ehrenamtlich, organisiert viele Veranstaltungen. Frauen sollen besser informiert werden. Damit sie trotz des politischen Gegenwindes wissen, welche Rechte sie haben und wo sie Hilfe finden.
"Da sind Frauen gestorben, weil irgendjemand abgelehnt hat, eine Abtreibung durchzuführen, die ihr Leben gerettet hätte. Wenn wir nicht verstehen, dass das geschieht, können wir uns nicht verteidigen", fordert Elisabetta Canitano, Gynäkologin.
Die Frauen wollen ihr Recht auf legale Abtreibungen behalten. Und sie kämpfen weiter gegen die konservative Politik im Land.
Bericht: Ellen Trapp / ARD Studio Rom
Stand: 25.02.2019 14:59 Uhr
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