So., 15.12.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Italien – Sardinen-Proteste gegen Populismus
Es fing mit einem Flashmob an. Ziel war es, mindestens eine Person mehr auf Bolognas Piazza Maggiore zu bekommen als der rechte Populist Salvini. Tausende kamen, um gegen Rechts aufzustehen. Und stellten sich auf die Plätze Italiens, eng wie Sardinen.
Zusammengerufen über Social Media. Und dieser Erfolg wiederholte sich immer wieder, überall da, wo die Lega auftrat. Die Bewegung der Sardinen war geboren, erfrischend unorganisiert, geeint nur im Protest. Eine neue Protestform.
Gegen Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Hassreden
Kleine Fische, große Fische – Sardinen aus Pappe oder anderen Materialien. Getragen von Hunderten und das in Viterbo, eigentlich eine traditionelle Hochburg der Rechten. Bilder wie diese tauchen seit Mitte November überall in Italien auf. Das Land hat eine neue Protest-Bewegung. Sie selbst nennen sich Sardinen. Wir befinden uns sowieso alle in einer Dose – so einer ihrer Slogans.
Mit dabei: Der 51jährige Filmemacher Alberto Chiodo. Er ist, so komisch das auch klingen mag, eine bekennende Sardine. Alberto Chiodo hat bei der Vorbereitung dieser Veranstaltung in Viterbo mitgewirkt. "Ich bin etwas aufgeregt! Bitte das zu entschuldigen! Wir haben hier mit zehn Leuten angefangen, die sich zum Teil nicht einmal kannten! Wir dachten, es würden heute vielleicht rund 100 Menschen kommen. Jetzt weiß ich nicht, wie viele wir tatsächlich geworden sind. Aber wir sind wohl deutlich mehr!"
Seit mehr als einem Monat fluten Sardinen Italien-weit regelrecht öffentliche Plätze. Klein hatte es als spontaner Flashmob begonnen, als Protest gegen Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Hassreden in Italien – und gegen den migrationsfeindlichen Chef der Lega, Matteo Salvini. Seitdem gehen Zehntausende in einer Vielzahl von Städten als Sardinen auf Straßen und Plätze. Innerhalb nur eines Monats sind die Sardinen so zu einem politischen Faktor in Italien geworden.
Keine Fahnen oder Parteisymbole
Alberto Chiodo ist sich dessen bewusst. Allerdings: Seine Bewegung will ausdrücklich keine Partei sein! Einig ist man sich in der Ablehnung der fremdenfeindlichen Partei von Matteo Salvini – mittlerweile stärkste politische Kraft in Italien. Rund 30 Prozent würden ihn – Stand heute – wählen. Aber die Sardinen wollen mehr: Sie wollen eine andere politische Kultur, ohne Hass und Fake-News. "Wir haben zwei schlimme Jahre hinter uns! Wir mussten dieses ständige Schüren von Hass in der Politik ertragen! Nur in sozialen Netzwerken konnten wir uns noch Luft machen. Jetzt haben wir endlich wieder auf Straßen und Plätze zurückgefunden! Wir haben wieder eine Stimme! Das ist großartig!"
Gestern Morgen: Alberto Chiodo bricht mit seiner Familie nach Rom auf. Eineinhalb Stunden Fahrt liegen vor ihnen. Für den heutigen Spätnachmittag ist eine Sardinen-Kundgebung angekündigt. In der italienischen Hauptstadt soll die bis jetzt größte Protestaktion der neuen Bewegung stattfinden – deren bisheriger Höhepunkt. Die Veranstalter hoffen auf nicht weniger als 100.000 Sardinen! Familie Chiodo will da unbedingt dabei sein. "Eigentlich bin ich optimistisch was die heutige Teilnehmerzahl angeht! Aber: Ein wenig bin ich auch in Sorge. Deshalb habe ich auch die ganze Familie mitgebracht!” Die Chiodos sind angekommen. Sie hoffen, dass hier heute ein wenig italienische Politik-Geschichte geschrieben wird, dass von hier aus ein deutliches Signal an das ganze Land ausgeht.
Die Piazza San Giovanni in Rom füllt sich. Eigentlich ist dies ein klassischer Kundgebungsplatz der italienischen Gewerkschaften. Heute gehört dieser Ort ganz den Sardinen. Und: Schon bald stehen die Menschen auch dicht an dicht gedrängt wie Sardinen. Fahnen oder Parteisymbole sucht man hier vergebens. Auch laute Kampfparolen – wie sonst üblich bei Demos auf diesem Platz – sind nicht zu hören. Stattdessen gibt es Reden und Musik, immer wieder den antifaschistischen Klassiker Bella ciao.
"Sardinen" gegen Salvini
Der Protest ist parteilos und altersübergreifend. Viele Demonstranten sind Wähler der italienischen Sozialdemokraten, der PD, oder der Fünf-Sterne-Bewegung. Fast die Hälfte sollen, nach Umfragen, enttäuschte Nicht-Wähler sein. Stets irgendwie präsent wenn auch natürlich nicht anwesend: Matteo Salvini, der Chef der fremdenfeindlichen Lega und mächtiger Führer der italienischen Opposition. "Salvini ist für uns die Spitze eines Eisbergs aus Populismus!", sagt Mattia Santori, Organisator der Sardinen." Doch dieser ist in Italien weit größer als in anderen Ländern!"
Das Ziel der Veranstalter, 100.000 Sardinen zusammen zu bekommen, wird in Rom wohl nicht ganz erreicht. Die Polizei spricht später von mehreren Zehntausend. Und doch: Für eine gerade mal einen Monat alte politische Bewegung ist das ein beachtlicher Erfolg! "Es wird weitere Veranstaltungen geben!" sagt Alberto Gangi Chiodo. "Auf keinen Fall werden wir jetzt aufhören. Wir machen weiter!" Die Sardinen – eine neue Stimme hat sich in Italien gegen Populismus und Fremdenfeindlichkeit erhoben. Die etablierte Politik wird sie wohl nicht mehr überhören können.
Michael Schramm, ARD-Studio Rom
Stand: 16.12.2019 13:39 Uhr
Kommentare