Mo., 23.10.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Kanada: Streit am Friedensfluss
Friedensfluss, so nennen die Kanadier diesen Strom. Unberührt, mächtig, wertvoll für die Ureinwohner, die First Nations, wertvoll für die Farmer.
Gestörter Frieden
Aber seitdem dort unten die Maschinen Tag und Nacht dröhnen, ist der Frieden gestört. 2024 soll das Tal auf fast 100 km Länge geflutet werden.
Gebaut wird ein riesiger Staudamm – das größte und teuerste Projekt derzeit in Britisch Columbia. Ken und Arlene Boon bringen die Kürbisernte ein. Ihr Farm-Land am Fluss ist schon enteignet, nun soll bald ihr Wohnhaus abgerissen werden. Arlenes Großvater hatte es gebaut, nachdem er aus Wales ausgewandert war – ein dickköpfiger Schafzüchter, wie Arlene erzählt.
"Dieses Haus, das er gebaut hat...Entschuldigung. Das macht mich so traurig, dass da ein Haus und Ackerland zerstört werden soll für ein Projekt, das nicht gerechtfertigt ist."
Schutz der Heimat oder Strom aus Wasserkraft?
Unweit der Farm bringen Denise und Clarence Willson ein, was sie über Nacht in den Netzen gefangen haben. Sie fürchten, dass sie bald den Fisch aus ihrem See im Reservat nicht mehr essen können. Gibt es im Tal den Staudamm, dann wird sich der Fisch im stehenden Gewässer mit hochgiftigen Quecksilber anreichern und könnte dann von dort in ihren See schwimmen.
"Wenn sie das Tal fluten, dann bleiben Baumstümpfe und Büsche im Wasser zurück. Und aus dieser Biomasse – das belegen Untersuchungen – tritt Quecksilber aus und gelangt über das Wasser in die Nahrungskette", sagt Clarence Willson.
"Gott hat uns diesen wunderschönen Platz gegeben, und ich will einfach nicht dabei zusehen, wie er zerstört wird", so Denise Willson.
Was zählt mehr: der Schutz der Heimat für einige wenige oder 5100 Gigawatt Stunden Strom pro Jahr aus sauberer Wasserkraft für viele Kunden?
Bunter Protest auf dem Fluss
"Wollt ihr sehen, wie die Baufirma BC Hydro hier gehaust hat und alles abgeholzt hat", fragt Ken Boon. Bei den Boons schlagen sie wieder Stöcke ein – mit ihren Namen drauf. Zeugnis des Protestes Amnesty International ist dabei – Politiker der grünen Partei Kanadas, Häuptlinge der First Nations.
"It is very heartwarming to me...Es wärmt mir das Herz, dass da so viele gekommen sind, um uns zu helfen. Viele sind durch unseren Protest aufmerksam geworden und fragen sich, was soll das, das ist doch nicht in Ordnung", erzählt Clarence Willson.
Paddle for Peace – zum 12 Mal: bunter Protest auf dem Fluss. Ein Bündnis von Farmern und First Nations, die alle von der Fruchtbarkeit dieses Tals leben. Clarence paddelt vorneweg.
Ihr Protest gegen den Damm war Reizthema im Wahlkampf ihrer Provinz British Columbia.
Gegner des Staudamms
Grade ist gewählt worden. Und erstmals wird in Kanada die Partei der Grünen die Landespolitik mitbestimmen – und die Grünen sind erklärter Gegner des Staudamms Side C. "Der Wind der Veränderung hat die alte Regierung und ihren Plan, dieses Staudamm Projekt unumkehrbar zu machen, weggefegt", sagt Elizabeth May, Grüne Partei Kanada.
Der Blick auf Side C. Die neue Regierung hat eine Untersuchungskommission eingesetzt – alles wird durchleuchtet. Der Bauherr BC Hydro hat sich eingeigelt – keine Interviews. Drehverbot.
Die gut 1000 Bauarbeiter, die in den Unterkünften auf dem Gelände leben, dürfen wir nicht bei der Arbeit filmen.
Helder Martins – ein Baggerführer der Side C – kommt für uns heraus und erzählt, dass gut 200 Arbeiter entlassen worden sind.
"Das hat natürlich die Stimmung unter uns Arbeitern gedrückt. Wenn die Politiker das ganze Projekt stoppen, wäre das fatal – dann hätten wir Milliarden in den Sand gesetzt – für nichts. Um anschließend die Landschaft wiederherzustellen, so wie sie war."
Jahrelanger Kampf – bald zu Ende?
Das Hauptquartier von BC Hydro in Vancouver – die Staatsfirma – ist hoch verschuldet. Längst ist durchgesickert, dass die Zahlen zum Staudamm frisiert worden sind, dass die neun Millarden Dollar Investitionskosten den Nutzen um ein Mehrfaches übersteigen werden, dass der Zusatzstrom nicht gebraucht wird.
Ken wird am Abend vor der neuen Untersuchungskommission aussagen. Er probt Zuhause schon mal seinen Vortrag. Endlich – nach langen Jahren werden sie gehört. Arlene hört zu und korrigiert. Ist das die Wende? Der jahrelange Kampf hat Arlene völlig ausgezehrt.
"Es wäre schön, wenn wieder Normalität einkehrte", so Arlene Boon.
"Es hat sich so viel in diesem Jahr verändert. Im Frühjahr da waren wir fast am Ende. Ohne den Regierungswechsel bauten sie jetzt hier, wo wir sitzen, die neue Straße und unser Haus wäre weg. Wir sind dankbar", sagt Ken Boon.
Im Dezember entscheidet sich ihr Schicksal und das des Tales.
Was ist Fortschritt, wie teuer darf er sein und was darf er zerstören?
Bericht: Markus Schmidt/ ARD Studio New York
Stand: 31.07.2019 07:17 Uhr
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