Mo., 12.09.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Kap Verde: Die Sandräuberinnen
Das Meer ist heute stürmisch. Maria und die anderen beobachten die Wellen: Können sie rein oder nicht? "Wenn wir nicht reingehen", sagt Maria, "verdienen wir nichts." Also riskieren sie es. Die Sandräuber beginnen ihre Arbeit: Mit Schaufeln und mit bloßen Händen graben sie Sand vom Meeresboden ab.
Hier, in der Bucht von Ribera da Barca auf der kapverdischen Insel Santiago, kann der Atlantik richtig gefährlich werden. Dann beten sie, dass das Meer sie nicht verschluckt, sagt Maria, und beeilen sich. Jeder Eimer mit dem nassen Sand wiegt etwa 50 Kilo. Eine unglaubliche Belastung für ihre Körper.
Die Arbeit von der Mutter geerbt
Maria hat nie etwas anderes gemacht, so wie ihre Mutter. Doch die musste damals wenigstens nicht ins Wasser: "Früher war das hier ein Sandstrand. Den Felsen da hinten, den hast du nicht gesehen, weil alles komplett mit Sand bedeckt war. Wir haben alles abgebaut, bis die Steine, die darunter lagen, zum Vorschein kamen."
Eimer für Eimer tragen sie ihre Insel ab und verkaufen den Sand. Als Rohstoff zum Bauen ist Sand unverzichtbar und wird gebraucht, um Beton herzustellen. Auf den Kapverden entstehen mit dem Sand der Strände immer mehr große Luxushotels und schöne neue Wohnungen für die, die damit Geld verdienen. Die Touristen aus England, Deutschland oder Portugal bekommen davon nichts mit. Die Strände für sie bleiben unangetastet.
Raubbau an den Stränden
Was sich auf den Kapverdischen Inseln abspielt, passiert fast überall auf der Welt: Strände im Senegal oder in Vietnam, Malaysia oder Indonesien verschwinden. Ihr Sand steckt zum Beispiel in den künstlichen Inseln vor Dubai oder in den Hochhäusern von Boom-Städten in China. Und da Wüstensand zu glatt ist, um daraus Beton herzustellen, werden die Strände geplündert.
Auf den Kapverden ist der Sandklau eigentlich verboten. Doch Sand zu importieren wäre für den Inselstaat zu teuer. Deshalb drücken die Behörden beide Augen zu. Und wie hier in Ribera da Barca gehen Maria und die anderen mittlerweile ins Wasser, weil am Strand kaum noch ein Sandkorn übrig ist.
Marias Kinder sitzen oft mit am Strand. Die beiden beobachten jede Bewegung ihrer Mutter. Und wenn Maria von einer Welle erwischt wird, halten auch sie vor Sorge die Luft an. Marias Mutter hat damals ihr Geld mit dem Sandklau verdient, um Maria ein besseres Leben zu ermöglichen. Das hat nicht geklappt. Maria hofft, dass es ihr gelingt: "Meine Kinder sollen zur Schule gehen, sie sollen mal studieren und einen guten Job finden. Wenn sie nicht zur Schule gehen, werden sie so enden wie ich."
Kampf um die Zukunft der Kinder
Der Gedanke macht sie sehr traurig, vor allem weil die Arbeit ihren Rücken und ihre Lunge ruiniert. Sechs Tage die Woche kommen sie hier her, umgerechnet 45 Euro verdient jede von ihnen, im Monat!
Rund die Hälfte der 530.000 Einwohner der Kap Verden leben von weniger als zwei Dollar am Tag. Die Arbeitslosigkeit ist hoch auf den Inseln. "Wir wissen, dass wir gegen die Natur arbeiten", sagt Maria. "Gegen unsere Insel, die wir so lieben." Aber sie wüssten nicht, was sie sonst machen sollen.
Maria und ihre Familie leben in einem Rohbau. Das Geld fehlt, um das Haus fertig zu stellen. Das ist nicht ungewöhnlich hier. Fließendes Wasser haben sie nicht, Trinkwasser und Wasser zum Duschen müssen sie kaufen. Marias Mann ist Fischer, deshalb kann er etwas von seinem Fang mit nach Hause bringen. Doch die Ausbeute wird immer spärlicher. Und sogar für die kleinen Fische müssten sie viel weiter rausfahren als früher: "Früher sind die Fische bis an die Küste gekommen. Aber jetzt ist da ja kein Sand, nur Felsen. Da wächst nichts mehr. Deshalb kommen auch keine Fische."
Raubbau an der Natur
Das ganze Ökosystem hat sich verändert und für sie bleibt immer weniger übrig. Aber mal etwas anderes als Fisch und Reis – daran sei gar nicht zu denken, sagt Maria: "Ich würde so gerne mal Fleisch kochen. Ich glaube, das würde mich für meine Arbeit stärken. Und auch für die Kinder wäre das hin und wieder gut. Aber wir können uns das nicht leisten."
Franscisco und Maria sind in Ribeira da Barca geboren und aufgewachsen. 4000 Einwohner hat der Fischerort. Kaum jemand hat eine feste Arbeit. Die Männer fischen, die Frauen holen den Sand. Die Konsequenzen sind überall zu sehen. Früher hat der Sand die Stadt wie ein Deich geschützt. Jetzt nagt das Meer an den Fundamenten der Häuser. Ein Stück der Mauer ist bereits eingebrochen – und die ersten Häuser. Franscisco erinnert sich: "Das war hier überall ein Sandstrand. Und da hinten, das, was so aussieht wie ein Stück Felsen, das war mal ein Haus; das ist vom Meer zerstört worden. Wir wissen, dass das die Folgen des Sandabbaus sind."
Sie wissen es und sie sind auch nicht stolz darauf. Doch die Schule für ihre Kinder kostet Geld: zehn Euro geben sie für die beiden im Monat aus. Für die kleine Familie ist das viel. Und Maria denkt viel an ihre Kinder: "Ich mache mir Sorgen: Jeden Tag bete ich zu Gott und hoffe, dass meine Tochter es einmal besser hat als ich. Ich liege oft wach und denke: 'Wird sie so enden wie ich?' Das macht mich sehr traurig."
Und es macht sie auch traurig, sagt Maria, dass es vielleicht bald keinen Sand mehr auf ihrer Insel geben werde. Doch dann ist wieder Ebbe, und sie gehen wieder ins Meer, holen den Sand, damit sie überleben.
Autorin: Shafagh Laghai, ARD Nairobi
Stand: 12.07.2019 18:02 Uhr
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