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Libanon: Flüchtlingskinder – Knochenarbeit statt Schule

Kaltes Wasser, um wach zu werden. Ali schlüpft schnell in seine Arbeitsklamotten. Er hat einen langen Tag vor sich. Mindestens acht Stunden. Ali ist zwölf Jahre alt, lebt in einem Flüchtlingslager.

Kein Überleben ohne Einkommen der Kinder

Libanon: Ali ist zwölf Jahre alt und arbeitet in einer Auto-Werkstatt
Libanon: Ali ist zwölf Jahre alt und arbeitet in einer Auto-Werkstatt

"Erst Frühstück, dann Arbeit. Wenn ich früher fertig bin, gehe ich zur Schule, wenn ich aber länger arbeiten muss, dann gehe ich nach Hause." Seine Eltern wollen sich nicht filmen lassen. Sie schämen sich, weil sie ihn zur Arbeit schicken. Doch Ali weiß, dass sie das nicht gerne tun. Aber: Ohne sein Einkommen kann die Familie nicht überleben.

So geht es praktisch allen Flüchtlings-Familien. Allein für den Stellplatz einer Baracke verlangen die Landbesitzer 100 Dollar im Monat. Das ist für die Flüchtlinge viel. Deshalb müssen auch die Kinder der Familien arbeiten, die vom syrischen Bürgerkrieg hierher ins libanesische Beka‘a Tal geflohen sind.

Dass er nach seiner Flucht vor dem Krieg für einen Hungerlohn in einer Werkstatt schuften muss, hat Ali sich nicht vorstellen können. Einen Euro pro Tag. Sechs Tage in der Woche. "Nach der Arbeit bin ich so müde, dass ich nicht wachbleiben kann. Ich gehe duschen, dann direkt ins Bett und schlaf sofort ein."

Einmal Schule in der Woche

Alis Arbeitskollege ist 13 Jahre alt. Kein Atemschutz, keine Brille, keine Arbeits-Handschuhe, nichts was die Kinder vor Verletzungen schützen würde. Ein paar Straßen weiter eine Baustelle. Auch hier arbeiten Kinder. Auch sie erst 13. "Ich arbeite, um Geld zu verdienen, um die Familie zu ernähren" oder "Es ist sehr hart", erzählen einige Kinder.

Direkt an einem Flüchtlingslager hat die Hilfsorganisation Beyond Association eine Schule aufgebaut. Ali erzählt der Chefin Maria Assi wie seine Arbeitswoche war. Brutal anstrengend. Es ist Dienstag. Alis schönster Tag. Der einzige an dem er nicht arbeiten muss und deshalb auf jeden Fall in die Schule gehen kann.

"Ich möchte Arzt werden, denn ein Arzt hat einmal mein Herz untersucht und ich möchte auch einmal Menschen als Arzt helfen", erzählt Ali.

Kinder bekommen weniger Lohn

Libanon: Statt Schule, müssen sie arbeiten gehen: Syrische Flüchtlingskinder im Libanon
Libanon: Statt Schule, müssen sie arbeiten gehen: Syrische Flüchtlingskinder im Libanon

Sie gehen selten zur Schule und haben trotzdem Träume. Die Musik-Gruppe der Schule. Viele dieser Mädchen haben früher auf den Feldern des Beka‘a Tals gearbeitet. Inzwischen haben manche ihrer Eltern Arbeit gefunden. Nun können die Mädchen wieder Kind sein. Zwingt mich nicht zu arbeiten, ich bin noch ein Kind. Kinderarbeit ist illegal. Doch das interessiert nur wenige im Beka‘a Tal. Schon gar nicht die Landwirte. Fünf Uhr früh. Morgenapell. Vor allem Mädchen treten an und werden eingeteilt. Nur wenige Erwachsene sind dabei. Die Mädchen wissen warum sie bei den Bauern so beliebt sind.

Kinder bekommen wenig Lohn – Erwachsene mehr. Das Beka‘a Tal ist sehr, sehr fruchtbar und braucht viele Saisonarbeiter. Seitdem die vielen syrischen Flüchtlinge hier sind, nennt man es das Tal der Kinderarbeit.

Elf, zwölf, dreizehn-Jährige schuften nun sechs Stunden. An guten Tagen für einen Euro pro Stunde. Manche von ihnen seit Jahren. Viele von ihnen waren schon lange nicht mehr in der Schule – sehr lange nicht mehr.

"Zuletzt vor vier Jahren", erzählt ein Mädchen. "Ich weiß es nicht...vor langer Zeit", sagt ein anderes.

Einige Kinder wissen, was sie verpassen

Libanon: Syrische Mädchen ackern auf dem Feld – Kinderarbeit im Libanon
Libanon: Syrische Mädchen ackern auf dem Feld – Kinderarbeit im Libanon

Die ganz Jungen verstehen nicht wirklich, was das bedeutet, nicht zur Schule zu gehen. Andere wissen, was sie verpassen. "Wir sind doch alle Analphabeten. Niemand war auf der Schule. Wir sind eine ganze Generation von Analphabeten", findet ein Junge. Malak ist die Jüngste auf dem Feld. Sie ist neun Jahre alt. Hilfsorganisationen schätzen, dass 350.000 syrische Flüchtlingskinder im Libanon nicht zur Schule gehen.

Selten, sehr selten spielt Ali Fußball, selten hat Ali Spaß. Deswegen will er auch zurück nach Syrien, nicht in den Bürgerkrieg, aber zurück in seine Heimat, zu seinen Freunden. Hier hat er keine Freunde. Wie auch, wenn er sechs Tage in der Woche hart arbeiten muss? "Ich hatte in Syrien Freunde, die waren wie Geschwister, Nachbarn, die meine Eltern kannten. Ich mochte sie."

Ali ist ein typischer Fall, sagen die Mitarbeiter der Hilfsorganisation. Sie wünschen sich mehr Unterstützung: Für über einer Million Flüchtlinge im Libanon.

Autor: Alexander Stenzel/ARD Kairo

Stand: 14.07.2019 17:32 Uhr

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