Mo., 18.09.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Madagaskar: Der Traum vom Saphir
Proviant, Zeltausrüstung und Wasser für drei Tage. Vor uns liegt ein abenteuerlicher Fußmarsch – zu illegalen Edelstein-Minen. In sechs Stunden seien wir da, sagen unsere Träger. Andere hatten uns gewarnt: eine 'normale Wanderung' sei das nicht.
Hoffnung auf ein besseres Leben
Deswegen wollen alle dorthin – Saphire. In Europa sind vor allem die blauen bekannt. In Madagaskar gibt es sie in allen Farben des Regenbogens. In einem der ärmsten Länder Afrikas bedeuten die Edelsteine Hoffnung auf ein besseres Leben.
Im geschützten Wald von Ankeniheny-Zahamena wurden im vergangenen Jahr besonders wertvolle blaue Saphire gefunden. Seitdem strömen Zehntausende aus dem ganzen Land her: alle im Saphirrausch. Allerdings illegal.
Der Weg zieht sich. Nach sechs Stunden heißt es, mit unserem Tempo würden wir noch mal so lange brauchen. Zu den Minen schaffen wir es niemals vor Einbruch der Dunkelheit, sagen die Träger. Wir müssen übernachten.
Alles, was in den Wald oder heraus soll, muss geschleppt werden. Die meisten unserer Träger sind ursprünglich wegen der Edelsteine in diese Gegend gekommen. Doch als Träger, sagen sie, verdienen sie mehr.
Lebensraum der Lemuren ist bedroht
Am nächsten Morgen wird es noch nasser, noch anstrengender und noch matschiger. Doch plötzlich – singen die Indris. Indris sind Lemuren, die nur hier leben können. Leider zeigen sie sich nicht.
Ein paar Tage zuvor hatten wir uns mit dem Lemurenschützer Jonah Ratsimbazafy in einem Schutzgebiet für die bedrohten Tiere getroffen.
Indris leben in kleinen Gruppen zusammen. Sie brauchen 30 verschiedene Blattsorten. Die finden sie nur in den Wäldern im Osten Madagaskars. Durch die illegalen Minen sind sie bedroht.
Jonah Ratsimbazafy, Umweltschützer: "Lemuren sind für uns die Gänse, die die goldenen Eier legen. Ohne Lemuren ist Madagaskar nicht Madagaskar. Die Touristen kommen wegen der Lemuren hierher. Die Tiere können das Leben der Menschen hier verbessern, weil wir mit Tourismus Geld verdienen können."
Doch die Menschen brauchen JETZT Geld
Nach insgesamt neun Stunden kommen wir an einem der vielen illegalen Minendörfer im geschützten Wald an. Aber: kein Mensch sucht nach Saphiren. An einem Donnerstag. Stattdessen: Wäsche waschen, Haare schneiden, Karten spielen. Sylvia Suzana legt eine Maske als Sonnenschutz auf. Sie erklärt uns, dass der Donnerstag ein Fady-Tag ist. Fady bedeutet auf Madagaskar streng Tabu.
Sylvia Suzana, Minenarbeiterin: "Neulich gab es einen Unfall am Wasser. Ein Mann ist in den Fluss gefallen. Er war tot. Nur, weil er an einem Donnerstag gearbeitet hat."
Im Januar war hier noch dichter Wald. Doch dann fand jemand auch an dieser Stelle Saphire. Seitdem sind die Siedler hier. Die meisten schuften im Auftrag für irgendwelche Zwischenhändler.
Ein Becher Reis pro Tag
Sylvia Suzana hat früher im Süden des Landes in Edelsteinminen gearbeitet. Dann hörte sie, dass die Steine hier viel größer seien. Die 36-jährige ließ ihre vier Kinder bei ihrer Mutter zurück und kam her.
"Ich vermisse sie sehr, aber weil ich bisher keine Saphire gefunden habe, kann ich sie nicht sehen. Um wenigstens etwas Geld zu verdienen, verkaufe ich diese Teigtaschen. In den Minen arbeite ich für einen madegassischen Boss. Er zahlt mir jeweils einen Becher Reis pro Tag. Kein Geld."
Zwei Mitarbeiter des Umwelt- und des Minenministeriums begleiten uns. Das war die Bedingung, um eine Drehgenehmigung zu bekommen. Der Mann vom Minenministerium will vor der Kamera nicht mit uns sprechen. Auch der Umweltschützer zögert zunächst.
Die Natur wird zerstört
"Ich werde traurig, wenn ich den Wald so sehe," sagt Angeli Rakotonindraina vom Umweltministerium schließlich. "Er ist doch heilig. Die Regierung hat schon etwas gegen die Saphirminen und die Zerstörung des Waldes unternommen. Aber die Armut treibt die Menschen trotzdem her. Die Menschen zerstören den Wald und die Regierung jagt sie weg. Aber dann ziehen sie einfach weiter."
Die illegalen Minen sind politisch hoch brisant. Verschiedene Quellen berichten uns, dass Regierungskreise ihre Finger im Spiel mit den Edelsteinen hätten. Gelder für die Räumung der Minen seien plötzlich verschwunden. Offen reden will darüber keiner.
Am nächsten Morgen ist der Fady-Tag vorbei, Arbeiten wieder erlaubt. Sylvia macht sich mit ihrem Kiessieb auf den Weg zum Fluss. Nur ein paar Meter unter der Erdoberfläche verbergen sich die begehrten Saphire. Im Wasser wird der Sand weggewaschen. Immer in der Hoffnung, einen Edelstein zu Tage zu fördern. Die meisten gehen leer aus. Sylvia hat seit Januar nichts gefunden.
"Ich träume von einem Steinhaus. Damit meine vier Kinder es bequem haben und meine Mutter im Alter nicht leiden muss. Ich bin die einzige Hoffnung meiner Familie. Und ich bleibe so lange, bis ich genügend Saphire gefunden habe. Auch wenn es hart ist."
Für Sylvia Suzana und die anderen Saphirsucher zählt nur ihr Traum von einer besseren Zukunft — auf Kosten des Waldes und der Natur.
Autorin: Sabine Bohland/ARD Studio Nairobi
Stand: 20.07.2019 19:45 Uhr
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