So., 12.05.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
China: Traditionskitsch statt historischer Mauern
Datong bekommt ein neues, altes Gesicht: Eine prächtige Stadtmauer, mehr als sieben Kilometer lang und 14 Meter hoch. Ein typisches Bauwerk der Ming-Dynastie. Damals vor 500, 600 Jahren hatten viele chinesische Städte Festungscharakter, um Angriffe der Reitervölker abzuwehren.
Das besondere an dieser Mauer ist, dass sie neu ist. 2008 war Baubeginn. Das Original hat die maoistische Revolution nicht überlebt, wurde seit den 50er-Jahren sukzessive abgerissen und die Steine geplündert. Den Erdwall, der übrig blieb, fand die Stadtregierung zu hässlich. Und deshalb investiert sie: Umgerechnet mehr als 5 Milliarden Euro sollen es sein – für den Neubau der Mauer und den Wiederaufbau der Altstadt. Nächstes Jahr sollen Mauer und Park vollständig fertig sein.
An Dajun und sein Assistent Song sind verantwortlich für die inhaltliche Ausgestaltung des gigantischen Projekts. Sie haben historische Landkarten und Pläne sowie Fotos und Bilder studiert, um sich dem Original so weit wie möglich anzunähern. "Unser Ziel ist es, eine Stadt mit Charakter und Stil zu bauen. Wir haben lange die Stirn gerunzelt über die Städte, die alle gleich aussehen und die ihr kulturelles Erbe verloren haben. Vor diesem Hintergrund haben wir uns entschieden, nicht so werden zu wollen. Wir glauben, dass die Seele einer Stadt in ihrer Kultur liegt."
Überall entstehen historische Gebäude neu
Die Stadt Datong liegt im Trend. Überall in China entstehen historische Gebäude neu. Was in Maos Kulturrevolution als "Feudalismus" verfolgt und zerstört wurde hat jetzt Konjunktur. Dafür wird in Datong die ganze Altstadt auf den Kopf gestellt - auch alte Häuser werden abgerissen, damit sie neu wieder aufgebaut werden können, schöner und perfekter. Historiker kritisieren, dass so wertvolle Bausubstanz verloren geht.
Die Planer in Datong halten dagegen, sie würden nur abreißen, was nicht erhaltenswert sei oder nur schwer zu restaurieren. Bei der Ausstattung der neuen alten Gebäude geben sie sich durchaus große Mühe, verwenden Teile der abgerissenen Häuser wieder und arbeiten sogar mit Holz - nicht wie so oft in China mit Beton und Fertigfenstern.
Die Bewohner freuen sich über die Erneuerung ihrer Umgebung, denn die Lebensbedingungen in den nicht renovierten Häusern sind prekär: keine Toilette, keine Dusche, kein fließend Wasser. Wer nach der Neugestaltung allerdings bleiben darf, ist unklar. 110 Häuser sind in diesem Jahr dran, erzählen die Planer.
Datong lebte bisher von der Kohle. Da die Reserven schwinden, braucht die Stadt langfristig eine neue Einnahmequelle. Das soll der Tourismus sein. So entsteht in der Stadt eine historische Kulisse für die Touristen. Original oder Nachbau ist dabei nicht so wichtig.
Radikaler Umbau in Peking
In Peking ist schon Wirklichkeit geworden, wovon die Datonger noch träumen. Qianmen, das Viertel südlich des Tiananmen-Platzes, wird eine neu gebaute Altstadt. Gassenviertel verschwinden, seelenlose Touristenecken entstehen. He Shuzhong kämpft seit 15 Jahren gegen Abriss und Neubau. "Das neue Qianmen ist ein furchtbarer Ort. Mitten im Zentrum der alten Kultur haben sie eine künstliche Welt zum Fotografieren gebaut, die das alte Peking nur vorgaukelt", klagt er.
Ein weiteres Viertel könnte bald ein ähnliches Schicksal erleiden: Gulou, die Straßenzüge um den Glocken- und Trommelturm. Flache Bebauung, kleine Gassen, sogenannte Hutongs (Hofhäuser) prägen das Viertel. So sah es einmal überall in Peking aus - im Laufe der letzten Jahrzehnte sind diese Gebiete immer kleiner geworden. Alles - 200 Meter links und rechts der Glockenturmstraße - soll nun abgerissen werden.
"Sich von den alten Häusern verabschieden, die Umsiedlung in neue Gebäude willkommen heißen", wirbt die Regierung. Überall im Viertel hängen Plakate, die ankündigen, welche Straßenzüge betroffen sind. "Die Leute wollen nicht weg. Sie mögen das Leben hier. Die Häuser sind klein, aber bequem. Viele sind seit Generationen hier und mit ihren Häusern verwurzelt. Und wenn man dann so weit rausziehen muss - da ist es doch unwichtig, ob die Häuser da besser sind", sagt eine Anwohnerin.
Touristen sollen angelockt werden
Die Regierung will mehr Touristen hierherlocken, auch in Peking ist das der Plan. Touristen bringen Geld, dafür lohnt es sich auch, die alten Bewohner großzügig zu entschädigen. Und trotzdem haben noch nicht viele zugestimmt. Ein Hoffnungsschimmer für He Shuzhong und seine Gruppe.
"Diese sogenannten Symbole der Kultur Chinas, die sie bauen, sind doch alles Fake. Fakegebäude, Fakestraßen. Warum machen sie das? Weil es schneller geht als restaurieren, weil es mehr Gewinne bringt und weil es den ästhetischen Geschmack der Offiziellen befriedigt", sagt He Shuzhong.
Eine Fantasiewelt entsteht
Und es sind nicht nur die Gebäude, die der Neugestaltung weichen müssen - es ist auch die alte chinesische Straßenkultur, die so langsam verschwindet. Die Touristen der Zukunft sehen dann eine Fantasiewelt - so wie die Regierung sie sich ausgedacht hat.
Autorin: Ariane Reimers, ARD-Studio Peking
Stand: 08.05.2014 12:48 Uhr
Kommentare