So., 12.05.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Spanien: Krisenopfer - die neuen Hausbesetzer
Jahr für Jahr lockt Sevilla Tausende Touristen an. Andalusiens Flair betört sie alle. Doch auf der anderen Seite wächst die Armut. Viele Menschen verlieren ihre Wohnung, immer mehr Häuser werden besetzt.
Rentnerin als Besetzerin
36 Familien haben vor einem Jahr einen Wohnblock besetzt und ihm den schönen Namen "Utopie" gegeben. Eine von ihnen ist die 66 Jahre alte Rentnerin Manoli Cores Lombardo. 400 Euro erhält sie im Monat, den Kredit für ihre alte Wohnung konnte sie nicht mehr bezahlen und verlor alles. Nun lebt die Rentnerin als Besetzerin.
Doch der Alltag ist ein Alptraum. Mit einem Campingkocher behelfen sich die Familien. Der Strom wurde abgestellt, das Wasser ebenfalls. Im vergangenen Oktober rückten Gemeindearbeiter an, um in zwei Meter Tiefe ein Stück der Hauptwasserleitung zu entfernen. 20.000 Euro sollen diese Arbeiten gekostet haben - die konservative Stadtverwaltung handle einfach zynisch, sagen die Besetzer.
"Die Verantwortlichen tun einfach alles Erdenkliche, um uns das Leben schwer zu machen und damit wir gehen. Hilfe gibt es keine. Aber wir machen weiter - solange, bis ein Richter entscheidet", sagt Manoli.
Die Besetzer holen nun Wasser in Plastik-Kanistern von der Straße - dort ist ein kleiner Brunnen errichtet worden. So ganz auf dem Trockenen wollte man die Betroffenen nicht sitzen lassen. Die finden das menschenverachtend - Spaniens Krise produziert extreme Gefühle wie Ohnmacht und Wut.
Stadt pocht auf Recht und Ordnung
Im Rathaus von Sevilla regiert die konservative Volkspartei. Der verantwortliche Dezernent pocht auf Recht und Ordnung. "Die Besetzer treten die Türen doch mit den Füssen ein, und besetzen gewaltsam Wohnungen. Wir können solche Okkupationen nicht dulden, das Rathaus von Sevilla wird das nicht unterstützen", sagt Massimiliano Vilches vom Bauamt der Stadt.
Im Klartext bedeutet das für die Rentnerin Manoli: Sie müsste auf der Straße leben. Irgendwann konnte sie den Kredit für ihre Eigentumswohung nicht mehr bezahlen und erhielt die Räumungsklage. Als Haushaltshilfe hat sie ihr Leben lang gearbeitet. Nun wartet sie auf staatliche Unterstützung, etwa eine billige Sozialwohnung. Doch das ist zurzeit vergebens.
"Zwangsräumnungen helfen keinem"
Die Zwangsräumungen in Spanien gehen trotz Gesetzesänderungen weiter. Millionen von Wohnungen stehen in Spanien leer und gleichzeitig werden Menschen weiter auf die Straße gesetzt. Auch bei konservativen Politikern wachsen langsam die Zweifel: "Ich glaube schon, dass wir Maßnahmen ergreifen müssen, die es erlauben, die Zwangsräumungen jedenfalls vorläufig auszusetzen. Denn sie nützen in der gegenwärtigen Situation doch keinem", sagt Massimiliano Vilches aus Sevilla.
Unterstützung für Besetzer
Die Besetzer des Wohnblocks "Utopia" treffen sich bei wöchentlichen Versammlungen, unterstützt werden sie dabei von den Indignados, den "Empörten". Sie formierten sich vor genau zwei Jahren und sind seitdem Spaniens bekannteste Protestbewegung. "Wir wollen erreichen, dass der Eigentümer dieses Wohnhauses, eine Bank in Sevilla, der Umwandlung in Sozialwohnungen zustimmt. So wurde es anfangs vom Bankdirektor versprochen", sagt Juanjo Garcia von den Indignados.
"Unseren Mund werden wir nicht halten"
An ein Leben in Würde glaubt Manoli schon längst nicht mehr. Ihr geht es um die Zukunft ihrer Kinder und Enkel. "Auch wenn Ihr uns auf die Straße werft, unseren Mund werden wir nicht halten", steht auf einem Plakat, dass Manoli an die Hausfassade gehängt hat.
Autor: Stefan Schaaf, ARD-Studio Madrid
Stand: 15.04.2014 11:15 Uhr
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