So., 18.08.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Kanada: Tödliche Gefahr auf Schienen
Anfang Juli starben bei einem Zugunglück im kanadischen Lac Megantic 47 Menschen. Ein Güterzug, voll beladen mit Öl, das über Fracking gewonnen worden war, explodierte mitten im Ort. Die Opfer hatten keine Chance. Heute ist klar: Sie hätten nicht sterben müssen, wenn Ölkonzerne und Bahnunternehmen ein paar Dollar mehr in die Sicherheit gesteckt hätten.
Raymond Lafontaine hat bei diesem Unglück seinen Sohn verloren. Er hatte ausgelassen im Musik Cafe gefeiert und war verbrannt. Lafontaine ist ein wohlhabender Unternehmer, hat sich aus kleinen Verhältnissen hochgearbeitet und nun hat er seinen Erben verloren. "Er sollte mein Nachfolger werden, ich habe so auf ihn gebaut, er hatte keine Chance", schreibt er im Nachruf. "Das ist das Schrecklichste, was Dir als Vater passieren kann, dass du Deine Kinder verlierst."
Geisterzug entgleist mitten in der Nacht
Es waren gewaltige Explosionen, als der Geisterzug mit den Ölwaggons mitten in der Nacht in das Städchen raste und entgleiste. Der Zug hatte sich selbstständig gemacht - nach Angaben der Zuggesellschaft, weil der Zugführer nicht genügend Bremsklötze angebracht hatte.
Aber warum war für den ganzen Zug nur ein Mann zuständig und warum war der nicht auf dem Zug und warum entspricht das den Vorschriften? Und seit wann kann Rohöl explodieren?
"Industrie spielt russisches Roulette"
Lawrence Mann hat diese Katastrophe kommen sehen. Er ist ein angesehener Fachmann für Zugsicherheit in den USA. Schon vor 20 Jahren hatte er gewarnt: "Es kann jederzeit passieren, dann wird einer dieser Tankwagen entgleisen und explodieren und eine ganze Stadt wird ausgelöscht werden. Die Industrie spielt russisches Roulette mit dem Leben der Leute."
300.000 Tankwagen sind in den USA und Kanada unterwegs und sie sind unsicher, erklärt uns der Fachmann: Der Stahl der Tanks sei zu dünn, die Ventile undicht, es fehlten Hitzeschilde und Bremspuffer.
Behörden: Umrüstung für Industrie nicht zumutbar
Lawrence Mann hatte schon vor 20 Jahren gefordert, die gesamte Flotte auf den Stand der Sicherheitstechnik zu bringen und war gescheitert: "Die Industrie sagt, die Umrüstung koste sie eine Milliarde Dollar. Dber das ist doch ein Trinkgeld - verglichen mit den Profiten, die mit Öl gemacht werden", so Mann.
Nach einem schweren Unfall im Jahre 2009 kam auch die Eisenbahnaufsichtsbehörde der USA zu dem Schluss - die Tankwagen seien ein Risiko. Sie sollten alle umgerüstet werden, aber wieder scheiterte man an der Öllobby. Das Transportministerium in Washington entschied: Investionen in Höhe von einer Milliarde Dollar seien zu viel verlangt.
Und so rollte der Geisterzug mit den unsicheren Waggons in jener Nacht über diese Schienen in das kleine Örtchen und entgleiste. Öl lief aus und sechs Tankwagen explodierten.
Klage auf Schadensersatz
Raymond Lafontaine spricht von fahrlässiger Tötung: "Der Höllenzug ist in unsere Stadt und heute will keiner dafür verantwortlich sein. Was mich so aufbringt, sie haben so vielen jungen Leute das Leben genommen."
Die Explosion war gewaltig, aber wie kam es dazu? Rohöl brennt - aber es explodiert normalerweise nicht. Die kanadischen Pyrotechniker sagen, die heftige Explosion sei mit der Ladung Rohöl nicht zu erklären. Das Öl stammt aus Norddakota. Hier wird gefrackt. Rohöl wird mit viel Chemie und Wasser aus der Erde gepresst. In Bakken wird das Fracking-Öl verladen, um als rollende Pipeline zu den Raffinieren an die Ostküste gebracht zu werden.
Haben chemische Frackingreste in den Waggons möglicherweise eine explosive Mischung erzeugt? Aufgrund dieser Vermutung werden nun die Ölkonzerne auf Schadensersatz verklagt: "Viele Ölgesellschaften benutzen für das Fracking Chemikalien - zum Beispiel Butangas und Benzol, die dann als Rückstände im Öl verbleiben. Das macht die Ladung erheblich gefährlicher. Unsere Experten sagen, diese Zusatzstoffe haben das Rohöl explosiv gemacht“, sagt der eingeschaltete Anwalt Hans Mercier
"Es muss sich was ändern"
Raymond Lafontaine hat viele Anrufe bekommen. Er solle endlich den Mund halten, er schade der Wirtschaft. Er hat sich mächtige Gegner ausgesucht: "Ich will keine Rache. Ich weiß, dass ich vielen auf die Füße treten. Ich weiß, dass die Ölgesellschaften nicht gerne hören, was ich sage. Aber ich habe jetzt ein Ziel: Es muss sich was ändern, die müssen handeln."
Die Züge mit dem Fracking-Öl rollen weiterhin durchs Land - Lac Megantic umfahren sie.
Autor: Markus Schmidt, ARD-Studio New York
Stand: 30.07.2015 12:05 Uhr
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