So., 18.08.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Paraguay: Das Müllorchester
"Die Welt schickt uns Müll. Wir antworten mit Musik." Das ist das Motto von Favio Chavez, dem Gründer des Müllorchesters. 2006 hatte er die Idee. Am Rande der Hauptstadt Asunción, in Cateura, eröffnete er eine Musikschule. Geld für Instrumente hatte er keines, aber gemeinsam mit dem Müllsammler Nicolas Gomez hatte er eine Idee: Recycling für die Musik, denn in dem Armenviertel Cateura gibt es die größte Müllkippe Paraguays. Mit Fundstücken aus dem Müll baut Gomez seitdem Instrumente: Geigen, Gitarren, Celli.
"Das Schönste, was mir passiert ist"
Maria ist eines der jungen Talente des Orchesters. Sie spielt Geige. Die Musik öffnet ihr ein neues Leben. "Ohne die Musik wäre mein Leben schrecklich für mich. Ich liebe sie. Es ist das Schönste, was mir in meinem Leben passiert ist."
Das Zuhause von Maria und ihre Freundinnen ist ein Elendsviertel am Rande von Asunción, der Hauptstadt Paraguays. Das Leben dieser Menschen ist geprägt von extremer Armut. 2.500 Familien leben hier - ohne Strom und fließend Wasser. Sie haben keine Arbeit und keine Perspektiven - bis das Müllorchester entstand.
Einladung in die USA ist eine Sensation
Favio wollte durch die Musik Kinder von der Straße holen. Jetzt bringt er mit einem Mann von der Behörde Maria und einigen anderen Orchestermitgliedern einen Pass mit Visum für die USA. Das ist eine Sensation. Die Teenager hatten bisher keine Papiere, nie haben sie jemals ihre Umgebung verlassen und jetzt ist ihr Orchester zu einem Konzert in die Vereinigten Staaten eingeladen worden.
Sie haben auf sich aufmerksam gemacht, wegen der skurrilen Instrumente und wegen so begabten Talenten, wie Maria. "Du musst üben, dich anstrengen, nur das hilft dir weiterzukommen. Sonst erreichst Du nichts im Leben und für Deine Zukunft", sagt sie. Für die Mädchen gibt es nur noch eines: die Musik. Und da spielt es auch keine Rolle, dass sie mit Instrumenten, die von der Müllhalde kommen, improvisieren müssen.
Wenn aus einer Konservendose Töne erklingen
In Paraguay boomt seit Jahren die Wirtschaft, trotzdem lebt über ein Drittel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Viele leben hauptsächlich vom angrenzenden Müllplatz. Dort findet auch Instrumentenbauer Nicholas alles, was er benötigt. Seit 16 Jahren arbeitet er mit Müll und sagt, nichts mache ihn glücklicher, als die Momente, wenn aus den ehemaligen Konservendosen Töne erklingen und er seine Werke den Kindern übergeben kann.
Nicholas baut auch traditionelle Instrumente, wenn ihn jemand dafür bezahlt. Aber spezialisiert hat sich der 54-Jährige auf Geigen oder Bratschen aus Abfall. Nachschub für den Bau der Instrumente holt er sich von der Deponie. Hier suchen jeden Tag rund 1.000 Müllsammler nach Essensresten, nach Dingen, die sich verkaufen lassen oder eben nach Teilen, die zu Musikinstrumenten werden können.
"Wir wollen die Kinder sichtbar machen"
Aus Müll wird Musik. Jugendliche aus den Slums machen Karriere. Regelmäßig üben sie in ihrer Musikschule. Das Orchester bekommt inzwischen Auftrittsangebote aus aller Welt, finanziert durch Spenden. Manchmal bekommen sie sogar herkömmliche Musikinstrumente geschenkt. Die 16-jährige Maria träumt von einer richtigen Karriere.
Dank der Musik, sagt Direktor Favio, bekommen die jungen Leute ein Selbstwertgefühl: "Offiziell existieren diese Menschen gar nicht, sie werden überhaupt nicht registriert. Die Kinder, kommen auf die Welt, bekommen keine Geburtsurkunde. Sie sterben ohne je zuvor registriert worden zu sein. Mit dem Orchester wollen wir das ändern. Wir wollen die Kinder sichtbar machen. Damit sie als Teil der Gesellschaft anerkannt werden."
Autor: Michael Stocks, ARD-Studio Rio de Janeiro
Stand: 15.04.2014 11:04 Uhr
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