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Großbritannien: Der Wächter - Wie der "Guardian" den Geheimdiensten trotzt

Großbritannien: Der Wächter - Wie der "Guardian" den Geheimdiensten trotzt  | Bild: Das Erste
Annette Dittert im Interview mit "Guardian"-Herausgeber Alan Rusbridger
"The Guardian"-Chefredakteur Rusbridger gibt selten Interviews. | Bild: NDR

Es ist ein mächtiger Gegner, gegen den der „Guardian“ angetreten ist. Die Abhörstationen der britischen Geheimdienste können jeden Schritt im Netz verfolgen und auswerten. Das weiß die Welt, seit im Londoner Hauptquartier des „Guardian“ eine kleine Gruppe von Journalisten Monat für Monat das Material von Edward Snowden zu neuen Titelstorys verarbeitet.

Extra: Interview in voller Länge (engl.):

Großbritannien: Wie der "Guardian" den Geheimdiensten trotzt - Das ganze Interview (engl.) mit Herausgeber Alan Rusbridger

Britischer Geheimdienst als Handlanger der NSA entlarvt

Was bislang im Verborgenen geschah - der "Guardian" bringt es an den Tag: Die totale Überwachung ist längst Realität im Netz und entlarvt dabei vor allem den britischen Abhördienst GCHQ als Handlanger der NSA.

Wir treffen den Mann, der seiner Redaktion dabei den Rücken freihält, Alan Rusbridger. Ein leiser, aber zäher Krieger im Kampf um die Freiheit im Netz. Der, als er das Snowden-Material das erste Mal in ganzem Umfang vor sich sah, selbst völlig perplex war.

"Eine gigantische Größenordnung"

"Ich hatte keine Ahnung, dass wirklich alles über uns gespeichert und abgehört wird, in einer so gigantischen Größenordnung. Ich war wohl einfach sehr naiv."

Kurze Zeit später wird er selber zur Zielscheibe. Im Parlament droht ihm der britische Premier höchstpersönlich  mit juristischen Schritten: "Natürlich ist es besser, an die gesellschaftliche Verantwortung des 'Guardian' zu appellieren, aber wenn das alles nichts nützt, wird es sehr schwer für mich sein, hier nicht zu handeln."

Möglich ist das, weil Großbritannien traditionell keine Verfassung hat, in der die Pressefreiheit formal festgeschrieben ist.

Zerstörung der Festplatten

Redaktionskonferenz beim "Guardian"
Redaktionskonferenz beim "Guardian". | Bild: NDR

"Wir arbeiteten mit der Drohung dass man juristisch gegen uns vorgeht. Schließlich habe ich die Regierung direkt gefragt: 'Werden Sie uns per Gericht die Veröffentlichung verbieten?' Und die Antwort war: 'Ja.'“. erzählt Rusbridger.

Aber er lässt weiterschreiben, veröffentlicht immer neue Teile des Snowden-Materials - bis ein Anruf aus der Downing Street ihm ein Ultimatum setzt. Jetzt wird die Herausgabe des Snowden-Materials verlangt. Rusbridger lässt die Daten nach Amerika schaffen und lädt den britischen Geheimdienst zu sich in den Keller ein. Hier zerstören sie dann gemeinsam die Festplatten mit dem Snowden-Material.

Rusbridger: "Es gab harte Verhandlungen, denn sie wollten das Snowden-Material sehen und inspizieren, bevor wir es zerstören würden. Und das wollte ich nicht. Dann haben wir uns geeinigt, dass wir die Bohrer in der Hand halten und sie uns sagen, was wir zerstören sollten. Es war das Surrealste, was mir je passiert ist."

Druck durch konservative Presse

Alan Rusbridger (unten) vor dem Innenausschuss.
Alan Rusbridger (unten) vor dem Innenausschuss. | Bild: NDR

Und der Druck auf ihn wächst, zumal der Dauerkonflikt mit Geheimdienst und Regierung die Zeitung zunehmend auch finanziell belastet. 

"Der 'Guardian' ist ja kein Riesenverlag. Das ist ein relativ kleiner Laden, mit begrenzten finanziellen Mitteln. Und wenn man das weiß, weiß man, wie mutig Rusbridger ist, dass er es wagt derart gegen den Strom zu schwimmen in Großbritannien", sagt Publizist Charlie Beckett.

Und dann beginnt auch die konservative Presse, eine Kampagne gegen Rusbridger zu führen. Die Argumente sind so simpel wie populistisch. Er spiele den Terroristen in die Hände, gefährde die nationale Sicherheit.

Im Dezember wird er vor den Innenausschuss zitiert. Mit seiner Waffe zwischen den Zähnen erscheint er, scheinbar unbeeindruckt. Aber der Druck ist immens.

Frage im Innenausschuss: "Sie haben dieses Land beschädigt, haben uns die Geheimdienste erklärt. Gestehen Sie das ein?"

Rusbridger "Wir haben nie auch nur einen einzigen Namen genannt. Und wir haben niemals die Kontrolle über das Material verloren."

Eine weitere Frage: "Ich liebe dieses Land. Lieben Sie dieses Land?"

Rusbridger "Ja, wir sind Patrioten. Und patriotisch sind wir vor allem, wenn es um die Demokratie und die Pressefreiheit geht."

Obama muss reagieren

Wie hält man diesen ständigen Druck aus? "Ich mache keinen Sport, trinke, höre die ganze Nacht Radio und spiele morgens Klavier“, sagt der Brite mit Humor und Pokerface. Und auch die nächsten Storys, die er vorbereitet, will er uns nicht verraten.

Der letzte große Erfolg liegt noch nicht lange zurück: Die Tatsache, dass Obama sich öffentlich zum NSA-Skandal äußern musste. Obamas Rede war vor allem symbolisch wichtig. Und sie hat das Leben für Rusbridger sicher etwas leichter gemacht, weil er zugestanden hat, dass es ein Problem gibt. Aber die Schlacht darum, wer die Kontrolle über diese Datenmengen in Zukunft haben wird, die hat erst begonnen", sagt Publizist Charlie Beckett.

"Es hat sich etwas verändert"

Alan Rusbridger, Chefredakteur und Herausgeber der Tageszeitung "The Guardian"
Alan Rusbridger, Chefredakteur und Herausgeber der Tageszeitung "The Guardian". | Bild: NDR

Eine Schlacht, in der ein Whistleblower in Moskau mit einer kleinen Truppe engagierter Journalisten aber schon einen klaren Teilsieg errungen hat. 

"Ich denke nicht, dass die Geheimdienste jemals wieder so unkontrolliert im Dunkeln arbeiten können - ohne jede demokratische Diskussionen über ihr Tun. Es hat sich etwas veränert", glaubt Rusbridger - ein leiser, aber zäher Krieger im Kampf um die Freiheit im Netz.

Autorin: Annette Dittert, ARD-Studio London

Stand: 26.01.2015 10:16 Uhr

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