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Armenien: Ringen um Identität und Hoffen auf Frieden

Armenien: Ringen um Identität und Hoffen auf Frieden | Bild: NDR

Ein Schießstand, nahe der Hauptstadt Jerewan. Hamazasp Aslanyan hat schon in zwei Kriegen gekämpft. Mit gerade einmal 31 Jahren. Jetzt will er nicht mehr kämpfen: Krieg, sagt er, ist das Schlimmste, was ein Mensch im Leben erfahren muss: "Wenn alle lernen wollen, wie man jagt oder schießt, dann finde ich, ist hier ein guter Ort, weil sie nicht auf Tiere zielen. Wenn man schon schießt, dann besser nicht auf Lebewesen, die eine Seele haben."

Mitten auf einem Schießstand: alte armenische Tänze

Die Menschen hier haben das Gefühl, jederzeit bereit sein zu müssen, um sich verteidigen zu können. In den vergangenen Jahren haben immer mehr Schießstände im Land eröffnet. Jahrzehntelang hatte Russland Armenien militärisch beschützt. Vor knapp zwei Jahren aber hatten die russischen Truppen nicht eingegriffen, als das Nachbarland Aserbaidschan die Region Berg-Karabach einnahm. Für die Menschen in Armenien ein Trauma. Hamazasp hat nach seinem letzten Kriegseinsatz sein Leben komplett verändert: Seinen IT-Job gekündigt und arbeitet jetzt als Tanzlehrer Seine Mission: Menschen vom Frieden zu überzeugen: "Lass uns nun alle zusammen bringen, um zu tanzen." Alte armenische Tänze, mitten auf einem Schießstand. Für die Leute hier kein Widerspruch. Auch nicht, sich an der Waffe ausbilden zu lassen, obwohl sich eigentlich alle Frieden wünschen: "Wir müssen uns rüsten und stärker werden, um Frieden zu erreichen. Hier beim Training kann ich eine Menge lernen, aber ich hoffe trotzdem, dass ich das nie anwenden muss", sagt Sophie Chobanyan.

In der Grenzregion: So nah wie jetzt an einem möglichen Frieden, waren Armenien und Aserbaidschan noch nie. Ein Abkommen dazu liegt seit März auf dem Tisch. Um auch die letzten Schritte in Richtung Frieden zu gehen, kam vor kurzem hoher Besuch aus Deutschland. Bundespräsident Frank Walter Steinmeier hat beide Länder aufgesucht. Zum ersten Mal reist ein deutscher Bundespräsident in die Region. Wir treffen Steinmeier in der Hauptstadt von Armenien, in Jerewan. "Was wir in Deutschland oft vergessen, es ist eine unmittelbare Nachbarregion zur Europäischen Union und wir müssen, wir Deutsche und wir Europäer, wir müssen ein Interesse daran haben, dass hier in der Region mehr Stabilität herrscht", erklärt Frank-Walter Steinmeier.

Armenien: Suche nach der eigenen Identität

Tanzende an einem Schießstand.
Um die uralten Tänze zu erlernen, ist Hamazasp durch die Dörfer von Armenien gereist. | Bild: NDR

Stabilität: Das wünschen sich auch Hamazasp und seine Freunde. In dieser Kneipe treffen sich viele, die im Krieg gekämpft haben und auch die, die ihr Zuhause verloren haben. "Die Jungs, die schon vor dem Krieg getanzt haben und jetzt wieder tanzen, die sind mental ausgeglichener. Die, die nicht tanzen und einfach so wieder ins normale Leben zurück mussten, für die ist es härter. Deshalb unterrichte ich Veteranen kostenlos", sagt Hamazasp Aslanyan.

An einen wirklichen Frieden können viele Menschen in Armenien noch nicht recht glauben. Nach ihrer Niederlage trauen sie dem großen Nachbarn Aserbaidschan nicht über den Weg. Armenien ist ein kleines Land – ungefähr so groß wie das Bundesland Brandenburg. Es leben nur rund drei Millionen Menschen hier. Fast 70 Jahre lang war Armenien Teil der Sowjetunion. Die Suche nach der eigenen Identität beschäftigt daher gerade viele junge Menschen im Land. Ani Haroutiunian ist deswegen vor einigen Jahren aufs Land gezogen. Sie hat sich dazu entschieden, Bäckerin zu werden: "Als ich anfing zu recherchieren, habe ich begriffen, dass, wenn wir mehr über die armenische Essenskultur lernen wollen, wir einfach mehr über armenisches Brot lernen müssen. Denn Brot ist wie ein zweiter Gott für Menschen in Armenien."

Armenische Kultur ist fast verloren gegangen

Am nächsten Morgen backt sie ihre Brote nach alten Rezepten und packt ihre eigenen Kreationen dazu. Mehl und Zutaten: alles lokal und bio. Auf ihrem Instagram-Account zeigt sie allen, wie viel Arbeit in einem Laib Brot steckt. Das frische Brot verkauft Ani später in ihrem eigenen Café. Auch ihren Gästen erzählt sie oft und gerne über ihr traditionell gebackenes Brot. Die armenische Kultur sei in den vergangenen Jahrzehnten fast verloren gegangen: "Die größten Verluste hatten wir defitiniv nach dem Völkermord, dabei haben wir nicht nur viele Menschenleben verloren, sondern auch so viel kulturelles Erbe. Dann kam die Sowjetunion mit ihrer Gleichmacherei und das hat auch sehr viel zerstört."

Um die uralten Tänze zu erlernen, ist Hamazasp wochenlang durch die Dörfer von Armenien gereist. Jetzt gibt er sein Wissen an die Menschen in der Hauptstadt weiter. "Diese Tänze bringen Frieden, sie beruhigen deine Seele. Mein Traum ist es, dass eines Tages alle Menschen in der Welt gut miteinander auskommen und ich will mit meinem Tanz dazu beitragen." Das Trauma Krieg wollen auch die Tänzerinnen und Tänzer hier hinter sich lassen. Sie wollen Frieden – aber ohne, sich selbst dabei verleugnen zu müssen.  

 Autorin: Silke Diettrich, ARD Studio Moskau

Stand: 13.04.2025 20:08 Uhr

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